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Lethargica
2006-03-04, 18:56:14
Die Geschichte vom Bürokratismus

Es waren einmal sieben Zwerge, die lebten hinter den sieben Bergen. Tag für Tag suchten sie im Bergwerk nach
Gold. Jeder der Zwerge war rechtschaffen, fleißig und achtete den anderen. Wenn einer von ihnen müde wurde, so
ruhte er sich aus, ohne dass die anderen erzürnten. Wenn es einem von ihnen an etwas mangelte, so gaben die
anderen bereitwillig und gerne. Abends, wenn das Tagewerk geschafft war, aßen sie einträchtig ihr Brot und
gingen zu Bett. Am siebten Tage jedoch ruhten sie.

Doch eines Tages meinte einer von ihnen, dass sie so recht nicht wüssten, wie viel denn geschafft sei, und
begann, die Goldklumpen zu zählen, die sie Tag für Tag aus dem Bergwerk schleppten. Und weil er so mit Zählen
beschäftigt war, schufteten die anderen für ihn mit. Bald nahm ihn seine neue Arbeit derart in Anspruch , dass
er nur noch zählte und die Hacke für immer beiseite legte. Nach einer Zeit hob ein Murren an unter den Freunden,
die mit Argwohn auf das Treiben des Siebten schauten. Dieser erschrak und vertei-
digte sich, das Zählen sei unerlässlich, so sie denn wissen wollten, welche Leistung sie vollbracht hatten und
begann, den anderen in allen Einzelheiten davon zu erzählen. Und weil er nicht erzählen konnte, während die
anderen hackten und hämmerten, so legten sie alle ihre Schaufeln beiseite und saßen am Tisch zusammen. So
entstand das erste Meeting.

Die anderen Zwerge sahen das feine Papier und die Symbole, aber schüttelten die Köpfe, weil sie es nicht
verstanden. Es dauerte nicht lange und der Controller (denn so nannte er sich fortan!) forderte, die Zwerge, die
da Tagein, Tagaus schufteten, mögen ihm ihre Arbeit beweisen, indem sie ihm Zeugnis auf Papier ablegten über die
Menge Goldes, die sie mit den Loren aus dem Berg holten. Und weil er nicht verstehen konnte, warum die Menge
schwankte, so berief er einen unter ihnen, die Anderen zu führen, damit der Lohn recht gleichmäßig ausfiele.

Der Führer nannte sich Manager und legte seine Schaufel nieder. Nach kurzer Zeit arbeiteten nur noch fünf von
ihnen, allerdings mit der Auflage, die Arbeit aller Sieben zu erbringen. Die Stimmung unter den Zwergen sank,
aber was sollten sie tun? Als der Manager von ihrem Wehklagen hörte, dachte er lange und angestrengt nach und
erfand die Teamarbeit. So sollte jeder von ihnen gemäß seiner Talente nur einen Teil der Arbeit erledigen und
sich spezialisieren. Aber ach! Das Tagwerk wurde nicht leichter und wenn einer von ihnen krank wurde, wussten
die anderen weder ein noch aus, weil sie die Arbeit ihres Nächsten nicht kannten.

Als der Manager sah, dass es schlecht bestellt war um seine Kollegen, bestimmte er einen unter ihnen zum Gruppen-
führer, damit er die anderen ermutigte. So musste der Manager nicht mehr sein warmes Kaminfeuer verlassen.
Leider legte auch der Gruppenführer, der nunmehr den Takt angab, die Schaufel nieder und traf sich mit dem
Manager öfter und öfter zu Meetings. So arbeiteten nur noch vier. Die Stimmung sank und damit alsbald die
Fördermenge des Goldes. Als die Zwerge wütend an seine Bürotür traten, versprach der Manager Abhilfe und
organisierte eine kleine Fahrt mit dem Karren, damit sich die Zwerge zerstreuten. Damit aber die Menge des
Goldes nicht nachließ, fand die Fahrt am Wochenende statt. Und damit die Fahrt als Geschäftsreise abge-
setzt werden könnte, hielt der Manager einen langen Vortrag, den er in fremdartige Worte kleidete, die er von
einem anderen Manager gehört hatte, der andere Zwerge in einer anderen Mine befehligte.

Eines Tages kam es zum offenen Streit. Die Zwerge warfen ihre kleinen Schaufeln hin und stampften mit ihren
kleinen Füßen und ballten ihre kleinen Fäuste. Der Manager erschrak und versprach den Zwergen, neue Kollegen
anzuwerben, die ihnen helfen sollten. Der Manager nannte das Outsourcing. Also kamen neue Zwerge, die fremd
waren und nicht recht in die kleine Gemeinde passten. Und weil sie anders waren, musste auch für diese ein neuer
Führer her, der an den Manager berichtete. So arbeiteten nur noch drei von ihnen. Weil jeder von ihnen auf eine
andere Art andere Arbeit erledigte und weil zwei verschiedene Gruppen von Arbeitern zwei verschiedene
Abteilungen nötig werden ließen, die sich unter-
einander nichts mehr schenkten, begann unter den strengen Augen des Controllers, bald ein reger Handel unter
ihnen. So wurden die Kostenstellen geboren. Jeder sah voller Misstrauen auf die Leistungen des anderen und hielt
fest, was er besaß. So war ein Knurren unter ihnen, dass stärker und stärker wurde. Die zwei Zwerge, die noch
arbeiteten, erbrachten ihr Tagewerk mehr schlecht als recht.

Als sich die Manager und der Controller ratlos zeigten, beauftragten sie schließlich einen Unter-nehmensberater.
Der strich ohne die geringste Ahnung hochnäsig durch das Bergwerk und erklärte den verdutzten Managern, die
Gründe für die schlechte Leistung sei darin zu suchen, dass die letzten beiden im Bergwerk verbliebenen Zwerge
ihre Schaufeln falsch hielten. Dann kassierte er eine ganze Lore Gold und verschwand so schnell, wie er
erschienen war. Währenddessen stellte der Controller fest, dass die externen Mit-
arbeiter mehr Kosten verursachten als Gewinn erbrachten und überdies die Auslastung der internen Zwerge senkte.
Schließlich entließ er sie.

Der Führer, der die externen Mitarbeiter geleitet hatte, wurde zweiter Controller. So arbeitete nur noch ein
letzter Zwerg in den Minen. Tja, und der lernte in seiner kargen Freizeit, die nur noch aus mühsam errungenen
abgebummelten Überstunden bestand, Schneewittchen kennen und brannte mit ihr durch. Die Firma ging pleite, die
Manager, Gruppenführer und Controller aber fanden sich mit großzügigen Summen gegenseitig ab und verschwanden
ins Ausland, um der Anklage wegen Untreue zu entgehen.

~ Morgane.. ( zufaul zum umloggen ^^) ~