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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : George Orwells 1984


boxleitnerb
2007-02-04, 10:39:17
Obwohl es so düster ist, ist "1984" eins meiner Lieblingsbücher. Was mich allerdings immer schon interessiert hat ist folgende Frage:

Glaubt ihr, dass eine solche absolut diktatorische Gesellschaft in der oder einer sehr ähnlichen Form in der Realität möglich ist?
Schon aufgrund der Vielzahl der Nationen bin ich da skeptisch, gab es doch in 1984 praktisch ein Gleichgewicht dreier riesiger Länder; in jedem herrschte dasselbe totalitäre System.

Selbst wenn all die Überwachungssysteme in total krassem Maße umgesetzt würden und sich der Rechtsstaat auflösen würde, wären da immer noch 2 Faktoren, die das Ganze aus dem Gleichgewicht werfen könnten:

1. Die Fehlbarkeit des Menschen
2. Der Freiheitswille des Menschen

Was ist eure Meinung zu dem Thema?

noid
2007-02-04, 10:50:56
ich kenne einige, die nichts gegen Überwachung haben - mit den Worten "ich hab ja nichts zu verstecken".
Seltsame Einstellung.
Der Freiheitswille hört bei dem Menschen dann auf, wenn er "satt" ist. Es wäre also durchaus möglich, dass so eine Situation zutrifft.

Zaffi
2007-02-04, 11:22:54
1. Die Fehlbarkeit des Menschen
2. Der Freiheitswille des Menschen

Was ist eure Meinung zu dem Thema?

Punkt 1 zählt nur beim Individuum, der totalitäre Staat hat diesen Makel meist nicht, schau dir mal die Diktaturen der alten Zeiten an...

Punkt 2 ist bei vielen bei weitem nicht so ausgeprägt wie du denkst, meist weil man gar nicht registriert das man unfrei ist, so wie die Proles eben, die haben doch gar nicht erkannt in welcher Situation sie sind

Ich könnte mir sehr gut vorstellen das es das Szenario von 1984 geben könnte, schau dir mal die EX -DDR an, hier und da noch etwas mher auf die Spitze getrieben et voila....

boxleitnerb
2007-02-04, 11:44:50
Gut, ich gebe dir in beiden Punkten Recht. Aber:

Letztendlich ist JEDER Staat, JEDES Imperium irgendwann gefallen. Ob durch äussere Einflüsse oder von innen heraus - ewig gehalten hat keiner/keines.

Und ob man im Gefüge jemals in die Situation kommt, dass alle anderen einen solchen Staat "in Ruhe lassen"?
Allerdings muss ich eingestehen, dass China ein solcher Fall sein könnte. Überwachung, und gleichzeitig sind alle anderen so tief wirtschaftlich verbunden, dass dort wenig oder keine Kritik geübt wird.
Am Schluss spielt wohl nur die Rivalität eine Rolle, siehe USA-China. Menschenrechte sind dort nur ein vorgeschobenes Thema.

Zaffi
2007-02-04, 12:56:13
Gut, ich gebe dir in beiden Punkten Recht. Aber:

Letztendlich ist JEDER Staat, JEDES Imperium irgendwann gefallen. Ob durch äussere Einflüsse oder von innen heraus - ewig gehalten hat keiner/keines.

nun ja in 1984 wird ja auch nicht darauf eingegangen das diese Staatsform ewig hält, zwar behauptet dieser Folterknecht (name entfallen) das, aber das muss nicht stimmen...

Schau dir mal Chile an, Pinochet und seine Folterknechte haben da 17 Jahre lang gemacht was sie wollten, wenn man das ein wenig ausreizt können da locker 50 jahre draus werden... siehe mal Nordkorea und andere Staaten wo übrigens genau dieses Art des Personenkults und der Halbreligion mit der Staatsführung verquickt sind

Und ob man im Gefüge jemals in die Situation kommt, dass alle anderen einen solchen Staat "in Ruhe lassen"?

Nun wenn die anderen Staaten es mit ihren Bürgern genauso machen, warum sich bei den andern einmischen. Im übrigen gibt es ja in 1984 Krieg, wenngleich auch nicht um die Demokratie zu bringen sondern rein aus MAchtansprüchen bzw. Gebietsgewinnen

Eigentlich wundert es mich immer wieder das nicht längst diese Gesellschaft etabliert ist, ein drittes Reich mit Hitler als Gewinner des zweiten WK hätte so werden können, schau dir mal den Film "Vaterland" mit Rutger Hauer an, das passt schon ganz gut

Michbert
2007-02-04, 13:45:40
Ich halte ein Szenario ähnlich zu 1984 leider für sehr realistisch, natürlich scheint das in der momentanen Situation "unvorstellbar", also dass selbst wenn man in Anbetracht dessen was sich gerade abzeichnet vom extremsten ausgeht, in absehbarer Zeit keine solche Horrorvision denkbar ist.
Es geht mir aber auch nicht um Spekulationen darüber, wie, wann, wo und in welcher Form das auftreten wird, sondern lediglich darum dass ich die Voraussetzungen, sowohl technisch wie auch gesellschaftlich, sehr wohl als gegeben sehe und es rein pessimistisch gesehen nur noch eine Frage der Zeit ist bis ein derartiger Überwachungsstaat mögliche Realität werden kann.

Das so eine Überwachung nie perfekt sein kann ist imo genau so zu vernachlässigen wie, dass es immer Menschen gibt die sich gegen das System wehren wollen. Schließlich funktioniert die Kontrolle hauptsächlich durch Selbstdisziplin jedes einzelnen, die Überwachung dient da (neben anderen Maßnahmen) nur zu Konditionierung des Menschen, so dass es letztlich egal ist ob tatsächlich überwacht wird, wenn dieser Gedanke ständig unter Beobachtung zu stehen nur fest genug im Denken der Menschen verankert ist.
Zudem kommt eben noch, dass so ein totalitärer Staat alle möglichen inoffiziellen Methoden nutzen kann um Widerständen den gar aus zu machen, wie eben auch das organisieren einer Schein-Widerstandsgruppierung um die anders denkenden einzusammeln. Was letztlich bedeutet, dass man einfach jedes mal wenn man jemandem vertrauen schenkt maximales Risiko eingeht. Das ist definitiv zu viel für die meisten Menschen, wobei die Mehrheit sich eben ohnehin den leichtesten Weg durchs Leben suchen wird und durch Konditionierung und Manipulation, garnicht vor dem Problem stehen wird.

Daher ja auch die wichtigste und erschreckendste Aussage von 1984, falls die Totale Überwachung erstmal möglich ist und es keine Bereiche mehr gibt die ganz der Privatsphäre untergeordnet sind, Widerstand schlicht nicht mehr möglich ist. Dass die Zeit alles zu Fall bringt, ist klar, sieht man aber nun von äußeren Einflüssen ab, dürften die andern Gründe meist mangelnde Kontrolle sein, wodurch eben ein großes Reich in mehrere teile zerfällt, klappt aber das Prinzip der Selbstkontrolle jedes einzelnen bzw. der Menschen untereinander, gäbe ich diesem System eine deutlich längere Lebensdauer...

Somit bleibt eben noch die Frage ist es denkbar, dass es soweit kommen kann, bleibt natürlich alles nur Spekulation aber mir fallen da schon einige Dinge ein wie sich die Situation da noch weit mehr verschlimmern könnte, so dass man sich plötzlich genötigt sieht selbst üble Überwachungstechniken einzusetzen, (neben Atomwaffen oder anderen moralisch sehr fragwürdigen Methoden, da is dann eh noch alles drin)
Momentan is für die meisten ja noch keine Bedrohung direkt spürbar, wenn sich das erstmal ändert...

boxleitnerb
2007-02-04, 14:19:13
Ein paar Dinge muss ich noch dazu sagen.
Zwar herrschte dort Krieg, aber im Endeffekt nicht wegen Gebietsgewinn. Keiner der drei Staaten hat Interesse daran, die anderen beiden vollständig zu vernichten, da dadurch das Gleichgewicht empfindlich gestört würde.
Auch war es dort gegeben, dass die wissenschaftliche Forschung mit Ausnahme weniger trivialer militärischer Verbesserungen praktisch still stand.

Allerdings ist die Menschheit von Natur aus neugierig, will verbessern, entdecken, erforschen. Wo ist dieser Drang geblieben?

Ebenso herrschte ein Mangel an Kleidung und dergleichen, wenn ich mich richtig erinnere.
Der Mensch hat doch gewisse Ansprüche. "Satt" zu sein heisst heute nicht nur, Essen und eine warme Bude zu haben. Der Mensch will unterhalten werden. Ob sich dieses Verlangen abstellen lassen wird, ist fraglich.
In 1984 gab es ja die staatliche Pornoindustrie für die Proles, die diese versorgt hat. Aber reicht das?

Internet, Fernsehen, Lesestoff, Musik - alles Ausdrucksformen für eigene Gedanken. Wer ist schon mit Musik zufrieden, wenn die Texte immer die gleichen sind (Propaganda) und kaum Abwechslung herrscht?

Melbourne, FL
2007-02-04, 20:45:34
Allerdings ist die Menschheit von Natur aus neugierig, will verbessern, entdecken, erforschen. Wo ist dieser Drang geblieben?

Doch nur wenn es ihr gut geht...in Afrika werden sich nur die wenigsten um Forschung kümmern. Und den Menschen in 1984 ging es nicht sonderlich gut...

Alexander

Elladan
2007-02-04, 21:02:35
ein drittes Reich mit Hitler als Gewinner des zweiten WK hätte so werden können, schau dir mal den Film "Vaterland" mit Rutger Hauer an, das passt schon ganz gut Oder lies das Buch.
Zumal Orwell in Vaterland ja auch erwähnt wird, als verbotene Literatur.

Im 3. Reich mussten sich alle Deutschen, in den Schulen, auf der Arbeit die Reden vom Hitler und der Regierung gemeinsam anhöhren.
In "Vaterland" wurden diese durch Fernsehansprachen ersetzt.
Was jetzt wirklich an den Beginn der Verfilmung von 1984 erinnert.

Heeragon
2010-06-16, 19:48:48
Was tun die dem Winston Smith am Ende als er da Schach spielt eigentlich ins Getränl?Also diese Tropfen...?

Rooter
2010-06-16, 19:53:37
Ein Spezialität des Cafes: Gewürznelkenaroma

EDIT: Geniale Dystropie übrigens, den guten Film mit Richard Burton und John Hurt kann man erst vollständig verstehen wenn man das Buch gelesen hat.

MfG
Rooter

Tesseract
2010-06-16, 20:28:30
2. Der Freiheitswille des Menschen
gerade das ist doch das kernthema des ganzen buchs: wie man den widerstand nicht bekämpft sondern total unzugänglich macht.
wenn der begriff privatsphäre (als gedankenkonstrukt) in der gedankenwelt der menschen nicht existiert, überhaupt nicht definierbar ist, wie willst du dann dafür oder dagegen sein?

das ganze kann man natürlich soweit weiterdenken, dass das system dann irgendwann zum selbstläufer wird, in dem nicht eine gruppe einer anderen was aufzwingt, sondern das meme "privatsphäre" quasi ausgestorben ist und keiner sie vermisst.

Surrogat
2010-06-16, 20:28:52
Ein Spezialität des Cafes: Gewürznelkenaroma

EDIT: Geniales Dystropie übrigens, den guten Film mit Richard Burton und John Hurt kann man erst vollständig verstehen wenn man das Buch gelesen hat.

MfG
Rooter

beides zutreffend und ich kann jedem nur empfehlen das Buch zu lesen und seis als Vorbereitung auf das was kommt ;(

Migrator
2010-06-16, 20:36:09
Man kann es lesen, aber ich halte es persönlich für weit überschätzt. Es wurde immer als Referenz genommen, wenn irgendwelche Leute gleich jeglichen Freiheitsentzug angekreidet haben und wird auch noch in 50 Jahren als Zitat genommen.

Die meisten, die das Buch als Mahnzitat immer heranziehen, sind diejenigen die am wenigsten für die Gesellschaft und ihre Fortentwicklung tun; sei es in sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen, Parteien etc. Eine Perversion der eigentlichen Mahnung dieses Buches

Heeragon
2010-06-16, 22:53:47
Das ist doch die Crux, wer sagt das man etwas für die Gesellschaft tun muss?

Vikingr
2010-06-16, 23:55:20
http://orwell-staat.blogspot.com/

...dachte, ich schmeiß den Link einfach mal in die Runde,..passt ja zum Thema...hab den vorher zufällig gefunden, auf der Suche nach was anderem..

Simon Moon
2010-06-17, 10:17:21
Imo wird 1984 auch oft Missverstanden. Das Buch beschreibt nicht das Leben des Proletariats, sondern der Personen, welche das öffentliche Leben gestalten. Das Proletariat will niemand "überwachen", das ist sowieso uninteressant. Wer überwacht wird, sind die Politiker, Journalisten und Manager.

Nebenbei haben wir gerade diese 3 Mächte, mit den gewissen "Schwankregionen" momentan genau in USA, EU und China manifestiert. Was Orwell hier wohl falsch einschätzte, war Südamerika, das sich mittlerweile etwas als 4. Macht auf sich Aufmerksam machen konnte. Aber das ist ein Detail.

Surrogat
2010-06-17, 11:03:08
Imo wird 1984 auch oft Missverstanden. Das Buch beschreibt nicht das Leben des Proletariats, sondern der Personen, welche das öffentliche Leben gestalten. Das Proletariat will niemand "überwachen", das ist sowieso uninteressant.

wie kann man das bitte missverstehen? Alleine die Titulierung des Proletariats als "Proles" und die recht detailiert beschriebene Abscheu des Protangonisten vor dieser sozialen Schicht spricht Bände

Wer überwacht wird, sind die Politiker, Journalisten und Manager.

Falsch, Politiker ausserhalb der Partei gibt es sowieso keine, es sei denn du meinst Immanuel Goldstein.
Und Journalismus in einer derartigen Diktatur? Undenkbar, ausser die staatseigene natürlich.

Von Managern hab ich auch nix gelesen, irgendwie war auch nie die Rede von freier Wirtschaft.

Eigentlich sind auch nicht bestimmte Berufsgruppen gefährdet sondern eher Intellektuelle an sich, zumindest aber ein jeder der sich Gedanken um die Situation macht und über das System.
Das allerdings auch der einfache Bürger nicht gefeit ist, und mag er auch noch so linientreu sein, macht Orwell durch diverse Beschreibungen von eher einfach gestrickten Charakteren klar, die ebenfalls mit dem Gesetz in Berührung kommen, mir fällt leider gerade nicht mehr der Name von dem Typen ein der im gefängnis das Klo verstopft, aber das war einer dieser Charaktere.