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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : wie mit Schweigepflicht umgehen, wenn es einen selbst belastet?


Gast
2010-06-19, 18:16:08
Hallo!

ich bin noch relativ jung und eher "Anfänger" in meinem Beruf... vor einigen Tagen hatte ich ein äußerst "intensives" Erlebnis mit einem Patienten... ich nahm mir während der Anamnese viel Zeit und ging auf den Patienten ein (so wie man es im idealfall halt gelernt hat)... relativ schnell brauch die Patientin in Tränen aus und erzählte mir viele grausame Details aus ihrem Leben. Sie sagte mir, dass sie dies noch nie jemandem anvertraut habe und ich musste ihr versprechen niemals mit irgendjemandem darüber zu reden (was ich natürlich auch tat).

nur leider belastet mich dieses Ereignis aus mir unerklärlichen Gründen relativ stark (ist eigentlich nicht das erste Mal, dass etwas in der Art passiert - i.d.R. geht man nach Hause und schaltet es dort einfach ab)... aber hier muss ich doch etwas mehr grübeln.

Leider weiß ich im Moment nicht ganz, wie ich damit umgehen soll oder welche konkreten Dinge ich tun sollte, um dies zügig zu verarbeiten... (den ganzen Psychokram. wie Übertragung/Gegenübertragung,... hab ich schon durchdacht, aber daran liegt es nicht).

dieses Forum erscheint mir freundlich und hilfsbereit (und dabei anonym genug :) ), dass ich hier mit nicht gegen ihren Wunsch verstoße.

hat jemand Ideen/Vorschläge?

vielen Dank schonmal!

derpinguin
2010-06-20, 03:22:41
Es kommt drauf an:
Ist es etwas, was die Kollegen wissen sollten um der Patientin effizient helfen zu können? Besprich es im Team.
Ansonsten kannst du es prinzipiell mit jedem besprechen. Die Schweigepflicht ist nicht gebrochen, wenn das ganze anonym und ohne Rückschlussmöglichkeit auf den Patienten geschieht.
Eine mögliche "professionelle" Anlaufstelle wäre z.B. die Notfallseelsorge.

Gast
2010-06-20, 11:35:56
Ich bin zwar Laie aber wie sieht es damit aus am Ende deiner Arbeitswoche selbst zum Therapeuten zu gehen? Supervision?

An sich vielleicht auch mal interessant eine Serie zum Thema "In Treatment", sehr sehenswert (allerdings würde ich die erste Staffel auslassen):

http://www.youtube.com/watch?v=gUMEPsBPdzs
http://www.youtube.com/watch?v=RuiXeiiZUhI
http://www.youtube.com/watch?v=iUb_6ZfTSpI

TeleTubby666
2010-06-20, 22:28:15
Nein, auf keinen Fall! Von der Schweigepflicht darf und kann dich nur der Patient selbst entbinden. Und da er das ausdrücklich verboten hat, hälst du dich besser daran.

{655321}-Hades
2010-06-20, 22:37:48
Ich arbeite in keinem professionellen therapeutischen Beruf. Trotzdem hat sich eigentümlicherweise häufig der Umstand eingestellt, dass ich auf einmal von Dingen wusste, die ich nicht wissen wollte. Immer unter dem Siegel der Verschwiegenheit, versteht sich.

Ich habe nie einen Ton gesagt, auch wenn ich die Täter getroffen habe. Das fällt nicht einmal so schwer, wie man glaubt. Ich habe keine Ahnung, was sie dir erzählt hat (und das willst du offensichtlich auch nicht erläutern). Gerade, wenn dies das erste Mal ist, dass so etwas vorkommt: Mach jetzt keine Dummheiten. Es hat einen Grund, warum sie es nur dir erzählt hat, und der wird nicht minder damit zu tun haben, dass du eben gesetzlich zum Schweigen verpflichtet bist. Und du wirst dich darauf einstellen müssen, dass es nicht das letzte Mal war, dass so etwas passiert. Und du wirst vermutlich noch viel schlimmeres hören.

Ein befreundeter Psychoanalytiker erzählte mir einmal, dass er sehr viel Urlaub machen muss, um die Dinge, die ihm erzählt werden, überhaupt verarbeiten zu können. Ich kann das nachvollziehen. Jeder in deiner Berufssparte muss seinen Umgang mit solchen Dingen finden. Sollte das nicht gehen - und das meine ich nicht zynisch, bösartig oder sonstwie - musst du dich schnell nach einem anderen Beruf umsehen. Denn sonst macht er dich kaputt.

Döner-Ente
2010-06-20, 22:38:08
Nein, auf keinen Fall! Von der Schweigepflicht darf und kann dich nur der Patient selbst entbinden. Und da er das ausdrücklich verboten hat, hälst du dich besser daran.

Und er hält sich noch immer dran, wenn er es anonym irgendwem erzählt, so auch auf Wikipedia nachzulesen: "Dies gilt, soweit die Einzelheiten Rückschluss auf eine bestimmte, damit identifizierbare Person zulassen...".

Ihm
2010-06-20, 22:40:03
Nein, auf keinen Fall! Von der Schweigepflicht darf und kann dich nur der Patient selbst entbinden. Und da er das ausdrücklich verboten hat, hälst du dich besser daran.

Es kommt darauf an, was der Patient einem erzählt. Die Verschwiegenheitspflicht ist nach § 34 und § 138 des StGB zu vernachlässigen bzw. aufzuheben.

rotkäppchen
2010-06-20, 22:43:58
Und er hält sich noch immer dran, wenn er es anonym irgendwem erzählt.

richtig.

wir verarbeiten bei uns intern so das erlebte.

derpinguin
2010-06-20, 22:51:12
Ich sehe, keiner hat meinen Post gelesen.

{655321}-Hades
2010-06-20, 23:02:00
Ich sehe, keiner hat meinen Post gelesen.


Doch, durchaus. Macht auch Sinn, bzw. weißt du es vermutlich eh besser. Aber ich muss mich gerade wundern, denn eigentlich sollten solche Möglichkeiten doch allen Menschen in solchen Berufen direkt in der Ausbildung mitgegeben werden, oder?

derpinguin
2010-06-20, 23:04:40
Werden sie auch. Die meisten vergessen es nur wieder, teilweise, weil man es jahrelang nicht braucht oder weil man sich nicht traut psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Meist wird sowas auch im Team auf Station besprochen.

Dicker Igel
2010-06-20, 23:46:50
nur leider belastet mich dieses Ereignis aus mir unerklärlichen Gründen relativ stark (ist eigentlich nicht das erste Mal, dass etwas in der Art passiert - i.d.R. geht man nach Hause und schaltet es dort einfach ab)... aber hier muss ich doch etwas mehr grübeln.

Vielleicht solltest Du mehr Zeit mit dem Patienten verbringen um Dir deine Fragen zu beantworten.
Ich habe keine Ahnung wie das ansonsten in dem "Klinik Alltag" läuft, aber es erscheint mir logisch.

Gehst Du mit offenen Fragen nach Hause, ist eine "Verwirrtheit" imo völlig normal.
Das man so etwas einfach "abschalten" kann, glaube ich zudem auch nicht - man stellt es eher in den "Hintergrund".

derpinguin
2010-06-20, 23:52:25
Im normalen Klinikalltag ist meist nicht so die Zeit sich Ewigkeiten mit Patienten zu reden zusammen zu setzen.

anderer Gast
2010-06-21, 10:51:06
Ein befreundeter Psychoanalytiker erzählte mir einmal, dass er sehr viel Urlaub machen muss, um die Dinge, die ihm erzählt werden, überhaupt verarbeiten zu können.


Jetzt werde ich neugierig.

Könntet ihr mir mal anhand eines fiktivem Fallbeispiels aufzeigen, was man da so zu hören bekommt?
Ich kann mir hier leider absolut nichts vorstellen.

PHuV
2010-06-22, 00:34:39
hat jemand Ideen/Vorschläge?

vielen Dank schonmal!

Der derpinguin hat es schon richtig beschrieben. Teambesprechung wäre eine Möglichkeit.

Unbedingt in Supervision gehen und mit einer kundigen Person den Fall durchgehen. Damit verstößt Du auch nicht gegen die Schweigepflicht, wenn Du den Namen der Person nicht nennst, zudem unterliegt ein Supervisor ja auch der Schweigepflicht! Du darfst Fälle neutral (ohne Nennung von Namen) oder auch als Fallstudie diskutieren. Vor allen Dingen ist es immer gut, die Fälle zu besprechen, dann lernt man auch eine Menge noch dazu.

Frage: was machst Du genau?

Wenn Du darüber reden möchtest -> PN an mich.

derpinguin
2010-06-22, 00:55:15
Um das Zeit nehmen während dem Dienst auf Station nochmal aufzugreifen: viele mögen vielleicht denken "die Schwestern haben ja eh nicht viel zu tun, trinken ja nur Kaffee"
Hier mal exemplarisch ein typischer Frühdienst auf einer peripheren (d.h. nicht-intensiv) Station

- Dienst übernehmen
- Wecken, Waschen, Medikamente verteilen, Messungen, Betten machen, Prophylaxen
- Frühstück austeilen/richten/anreichen, Sondenkost und parenterale Ernährung anhängen, Bilanzierung, Frühstück einsammeln
- selbst mal was essen
- Visite begleiten und ausarbeiten, neue Verordnungen durchführen, Neuaufnahmen und Verlegungen bearbeiten, messen, Medikamente für nächsten Tag kontrollieren
- Mittagsmedikamente verteilen, Mittagessen verteilen/richten/anreichen/einsammeln + Sondenkost etc.
- Dokumentation schreiben, Patienten in Pflegestufen einstufen
-Übergabe an Spätdienst

Damit hast du locker acht Stunden gefüllt ohne zwischendrin groß Zeit für was anderes (wie z.B. hinsetzen und reden) zu haben.

TeleTubby666
2010-06-22, 19:15:09
Es kommt darauf an, was der Patient einem erzählt. Die Verschwiegenheitspflicht ist nach § 34 und § 138 des StGB zu vernachlässigen bzw. aufzuheben.

Richtig. Wenn Gefahr im Verzug ist.

Beliebtes Beispiel, das immer wieder angeführt wird:

Ein Bankräuber kommt nach dem Raub angeschossen in eine Klinik, um sich behandeln zu lassen. Dann ist es den dort arbeitenden nicht erlaubt, die Polizei zu informieren, wer sich dort gerade befindet. Wenn allerdings der Bankräuber glaubhaft angibt, nach der Entlassung noch mögliche Zeugen abzumurksen, ist es sogar die Pflicht, dieses anzuzeigen.

Selbst offensichtliche Kindesmisshandlung darf nur dann angezeigt werden, wenn man das Gefühl hat, die Tat könnte sich wiederholen. Glücklicherweise kann man mit dieser Begründung gerade Kindesmissbrauch eben doch melden.

Nicht einmal ein Gericht kann einen Angestellten im medizinischen Bereich zwingen, seine Schweigepflicht zu brechen. Das kann einzig und allein der Patient selbst. Wird immer wieder in Prüfungen abgefragt.

{655321}-Hades
2010-06-22, 21:47:19
Jetzt werde ich neugierig.

Könntet ihr mir mal anhand eines fiktivem Fallbeispiels aufzeigen, was man da so zu hören bekommt?
Ich kann mir hier leider absolut nichts vorstellen.

Uff. Psychoanalytische Fallstudien gibt es zuhauf, da musst du nicht einmal nach fiktiven Beispielen suchen. Die "Psyche" ist wohl die wichtigste psychoanalytische Publikation, da sind ständig Fallstudien drin.

Aber um ein paar Beispiele zu nennen:

1) Sexueller Kindesmissbrauch und sexuelle Gewalt im Allgemeinen ist häufig Thema in Therapien. Ist sicher nie schön, bei so etwas zuhören zu müssen.

2) Misshandlung und Gewalt seitens der Eltern, der Ehepartner oder Lebensgefährten.

3) Man glaubt manchmal gar nicht, was für sexuelle Perversionen Menschen ausbilden können. Nette Sammlung wäre die "Psychopathia sexualis".

4) Bei manchen Schicksalen kommen einem schlicht die Tränen. Ich habe mal einen Nachmittag mit einem Flaschensammler verbracht. Dessen Geschichte hat mich eine ganze Weile mitgenommen.

Spike2
2010-07-21, 10:22:57
Nun, als Rettungsassistent - der auch als Ausbilder, in erster Linie für Rettungssanitäter, aber halt auch ein paar mal für RettAss gearbeitet hat - kann ich nur sagen, daß das Thema "Psychohygiene" und "Umgang mit belastenden EInsätzen" leider in der Ausbildung oftmals eben NICHT so thematisiert wird (v.a. vom Umfang her), wie dies wünschenswert wäre... Und dann sind leider viele Kollegen auch schlicht & ergreifend zu "cool" um das Erlernte - z.B. eine gute Einsatznachbesprechung - auch umzusetzen.

Sascha von Bornheim
2010-07-25, 03:17:29
es hat mir selbst sehr gutgetan ueber meine eigenen erlebnisse zu schreiben. natuerlich habe ich die namen geaendert damit mich meine allerliebsten eltern nicht anzeigen koennen, aber es tat sehr gut das mal alles aus mir raus zu kriegen, und der rest meiner familie weiss ganz genau wer da wer ist, geaenderte namen oder nicht. war ein sehr befreiendes ding, darueber zu schreiben. vielleicht kannst du das ja auch machen, so lange du den namen der person (und eventuell den ort) aenderst, bleibt sie ja auch anonym.