PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Quinte, Quarte, Terz (Harmonien und Physik)


aths
2011-06-10, 15:00:55
Dass Musik schön sein kann, ist kein Geheimnis. Natürlich will ich da auch die Grundlagen begreifen, wie die Schönheit entsteht. Vermutlich kann man nicht erklären, warum einem eine bestimmte Melodie gefällt, aber warum bestimmte Tonfolgen schön oder unschön sind, sollte sich erklären lassen. Mein Ansatz war lange das reine Ausprobieren, bis mir die Natur der sogenannten Oberwellen wieder einfiel.

Im Physikunterricht gingen wir mal für eine Doppelstunde an die Uni Rostock zu einer Physikvorlesung, wo der Professor gerade physikalische Grundlagen in Bezug auf Musik erklärte. Bei mir blieb vor allem die Natur der Oberwellen hängen. Das ist schon eine Weile her, ich hoffe, hier keinen Quatsch zu labern.

Es dürfte bekannt sein, dass sich unser Tonsystem mit den zwölf Halbtönen aus Quinten konstruieren lässt. Die Quinte ist zum Beispiel der Abstand zwischen C und G, also der Abstand über fünf Noten (daher der Name Quinte.) Nach zwölf Quinten hat man alle zwölf Halbtöne abgeklappert und fängt wieder von vorne an. Leider passt das bei reiner Stimmung nur ungefähr, aber das ist trotzdem die Grundidee. Soweit die Vorlesung, weiter ging es dort nicht und nächste Stunde waren wir wieder an der Schule und nicht an der Uni.

Darauf will ich hier aber gar nicht hinaus. Was mich im Moment mehr interessiert, ist der Bezug der Tonabstände zum idealen Obertonspektrum. Wenn eine ideale Saite mit sagen wir mal 100 Hertz Grundfrequenz schwingt, erzeugt sie ja Oberwellen bei 200, 300, 400, 500, 600 Hertz und so weiter. Die Lautstärke der Oberwellen ist grob gesagt je geringer je höher die Frequenz ist, wobei das jeweilige Lautstärken-Muster der Oberwellen (also das Frequenzspektrum) den charakteristischen Klang eines Tons ausmacht.

(Wer das spielen will, diese Reihe entspricht grob G - g - d - g' - h' - d''.)

Wenn wir die Grundfrequenz haben, ist die erste Oberwelle um 2:1, also eine Oktave höher. Damit ändert sich bekanntermaßen nicht der Ton selbst. Die nächste Oberwelle (300 Hertz) ist im Vergleich zur vorherigen (200 Hertz) eine Quinte höher. Die Quinte stellt das einfachste denkbare Frequenzverhältnis dar, welches nicht ganzzahlig ist. Einfacher als 3:2, also 1.5, geht es nicht. Damit ist die Quinte Harmonie und Wohlklang. Wie gesagt ist die Quinte so wichtig, dass man alleine aus ihr und der Oktave (2:1) alle Halbtonstufen erzeugen kann.

Jetzt der interessante Teil. Das nächsteinfachere Intervall ist 4:3, gemeinhin auch als Quarte bekannt, da sie vier Tönen Abstand entspricht. Die Quarte ist gleichzeitig auch das "fehlende" Stück zur Oktave, also das Komplementärintervall. Quinte+Quarte = Oktave. Schon daher ist die Quarte automatisch harmonisch, sie ist aber wie gesagt auch aus sich selbst heraus harmonisch weil die Quarte ein noch recht einfaches Frequenzintervall darstellt.

Nach 3:2 und 4:3 kommt, logisch, 5:4. Damit hätten wir die große Terz. Das nächste Intervall wäre 6:5, das entspricht der kleinen Terz. Beide Terzen zusammen ergeben auf dem Klavier wieder die Quinte, welche ja sowohl im Dur- als auch im Moll-Dreiklang vorkommt. (Groß+klein = Dur, Klein+groß = Moll.) Auch rechnerisch stimmt es exakt: 5:4 * 6:5 = 30:20 = 3:2. Das hieße, dass perfekte Harmonie möglich scheint.

Bleibt noch die Frage, was denn bitte ein Ganzton sein soll. Der Abstand zwischen den beiden Hauptintervallen, Quinte und Quarte, eignet sich gut. Dann hat ein Ganzton das Verhältnis von 9:8. Damit bleiben wir im Muster der Obertonwellen, auch wenn 7:6 und 8:7 als Intervalle übersprungen werden. Als ich zu diesem Punkt in der Überlegung kam, dachte ich, endlich das Geheimnis der Harmonie gelüftet zu haben.

Doch muss man kein Mathe-Genie sein um zu sehen, dass das alles gut klingt, aber gar nicht passt. Wie groß müsste ein Halbton sein? Das wäre eigentlich der Abstand aus kleiner und großer Terz, und entspricht hier 25:24. Leider kommt das mit den Halbtönen nach dieser Konstruktion nicht hin, da zwei Halbtöne sehr viel kleiner wären als ein Ganzton. Außerdem steht die Frage, welcher Halbtonabstand bei der kleinen C-Terz gemeint ist: Es-E oder Dis-E?

Man kann es drehen und wenden wie man will, nicht mal eine einzige Tonleiter für eine einzige Tonart kriegt man ordentlich gestimmt, wenn man sich vom Oberwellenspektrum leiten lässt. Eine große Terz wäre etwas größer als drei Ganztöne. Sechs Ganztöne sind knapp größer, drei große Terzen knapp kleiner als eine Oktave. Das mit dem Oberwellenspektrum als Ausgangbasis klingt zwar erst gut, aber ermöglicht keine perfekte Stimmung.

Damit fiel mir auf, dass man gar nicht perfekt harmonisch spielen kann, selbst wenn man eine Gitarre ohne Bünde oder eine Geige hat und die exakte Tonhöe selbst festlegen kann: Die meisten Intervalle ergeben, aufeinandergeschichtet, nicht exakt das gewünsche größere Intervall. Als Neuling in der Musiktheorie war das jetzt schon ein kleiner Schock für mich: Perfekte Harmonie ist nicht möglich.

Interessanterweise kommt es aber ungefähr hin, wenn man eine Oktave einfach in zwölf absolut gleichgroße Intervalle unterteilt. Das sind dann zwar irrationale Frequenzverhältnisse, die in der Natur garantiert nicht vorkommen, aber mit etwas Großzügigkeit kann man alle genannten Intervalle reinquetschen. Das finde ich doch schon seltsam: Außer Oktave ist kein einziges Intervall rein. Trotzdem stellt es die gängige Stimmung für aktuelle Instrumente dar, da die Vorteile überwiegen: Die Frage ob Dis oder Es für die kleine Terz gespielt werden stellt sich nicht, da für beide Noten der gleiche Ton gespielt wird. Man kann über die Doppeldeutigkeit von Noten innerhalb eines Stückes die Tonart oder das Tongeschlecht wechseln. Außerdem kann man jede Tonart spielen da jede gleich unrein gestimmt ist.

Zwei Besonderheiten fallen mir bei der gleichstufigen Stimmung auf: Erstens ist die Quinte, und damit auch die Quarte, zufällig sehr nahe am reinen Intervall. Schief klingen vor allem Terzen, die aber nicht ganz so wichtig sind. Zweitens kommt ausgerechnet das denkbar unbrauchbarste Intervall in Perfektion vor: Der Tritonus, also der Ton zwischen Quarte und Quinte. Das Intervall entspricht bei gleichstufiger Stimmung der Wurzel aus zwei, was logisch ist, da es sich um das einzige Intervall handelt welches gleichzeitig sein Komplementärintervall ist. Es klingt nicht harmonisch. Es klingt nicht disharmonisch. Es klingt nach nichts.


Natürlich würde mich interessieren, wie Musiker hier im Forum ihre Instrumente stimmen. Muss es die gleichstufige Stimmung sein da ihr in einer Band spielt, oder bevorzugt ihr eine Stimmung in der einige Intervalle reiner gestimmt sind?