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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ehrlich währt am längsten oder der Ehrliche ist der Dumme?


Gast
2012-05-27, 12:14:42
Wie seht ist das, welche der Aussagen trifft eher zu?
Ich fahre eigentlich immer mit der Schiene „Ehrlich währt am längsten „, aber inzwischen kommen mir Zweifel ob das das wirklich das richtige ist. Im Bekanntenkreis z.B: kenne ich welche die es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen und die „fahren“ meiner Meinung nach her besser. Ich rede jetzt nicht nur einfach dreist Lügen, nur welche Sachen werden halt sich zurechgebogen usw. OK, ich bin so von meinen Eltern erzogen worden und ich werde mich auch wohl nicht ändern, aber ob es für einen die bessere Alternative ist sei mal dahingestellt.

Auch sieht es man ja an unseren * hust* „Volksvertretern“ das man nur dreist genug Lügen oder nicht die ganze Wahrheit sagen muss.

Welche These haltet ihr für die bessere?
Moralisch sollte man schon „Ehrlich währt am längsten“ vorziehen, aber sonst?

Wie seht Ihr das ?

Shaft
2012-05-27, 12:33:37
Richte dich nach deinen Bekanntekreis, der ehrliche ist nunmal immer der Dumme.

War früher immer ein sehr ehrlicher Mensch und stand dazu, egal in welcher Hinsicht. Wir leben nunmal in einer Ellenbogengesellschaft, da ist kein Platz für Weicheier. Daher kann es nicht schaden, in gewissen Situationen sich etwas zurecht zu biegen.

Traurige Erfahrung der letzten Jahre, ist leider so.

Lyka
2012-05-27, 12:49:27
der Ehrliche ist der Dumme
Lügen bringt mehr Aufwand, auch nachträglich

Shink
2012-05-27, 12:56:31
IMO funktioniert Lügen ohnehin nicht - außer bei Leuten, die man nur ein paar Mal sieht. Über längere Zeit kann man keinen belügen ohne unglaubwürdig zu werden, insofern kann man sich das bei Freunden, Familie, Arbeitskollegen, Kunden etc. sparen.

Ich finde es schwer genug, überzeugend zu wirken, wenn man nicht lügt.

raschomon
2012-05-27, 14:14:27
...
Auch sieht es man ja an unseren * hust* „Volksvertretern“ das man nur dreist genug Lügen oder nicht die ganze Wahrheit sagen muss ...

Die sog. politische Kommunikation ist eine ganz andere Baustelle. Dort wird in der Tat chronisch und exzessiv "gelogen" - oder vornehmer: die Wahrheit modifiziert. Politische Klasse und mediale Klasse leben in einem quasi-symbiotischen Interessensverbund und kommunizieren innerhalb dessen niemals ohne Hintergedanken und doppelten Boden - wie auf einer Bühne vor einem Publikum, das leidlich gut unterhalten werden will, damit es wiederkommt (an die Wahlurne bzw. an den Zeitungsstand). Dies ist nur dann schlimm, wenn der Bürger/Wähler/Medienrezipient die Verdrehung der Tatsachen, Tricks und offenen "Lügen" nicht erkennt. Dem kritischen und aufgeklärten Bürger kann also die "Lüge" in der politischen Kommunikation recht wenig ausmachen. Pferdefuß dabei: die Zahl dieser skeptischen Bürger nimmt auch hierzulande tendenziell leider ab.

Das "Lügen" im persönlichen Umfeld und der F-to-F-Kommunikation des Alltags ist den Leuten kaum auszutreiben. Eine rückhaltlos ehrliche Gesellschaft erfordert ein sehr hohes Maß an Konfliktfähigkeit und -toleranz, eine immense Dichte von Spielregeln in der zwischenmenschlichen Kommunikation, die dann auch noch befolgt werden sollten, damit es nicht bei all der unbequemen, manchmal bestürzenden Wahrheit im Übermaß andauernd zu ernsthaften und wütenden Auseinandersetzungen bis hin zu Mord und Totschlag kommt. Die rückhaltlose Wahrheitsliebe erfordert also eine ausgeklügelte und für alle verbindliche soziale Infrastruktur. Die will errichtet und unterhalten werden, was wiederum für den Einzelnen als bewußter Akt ziemlich aufwendig wäre und eine prohibitiv hohe Regelungsdichte, viel Verantwortungsbereitschaft, stete Aufmerksamkeit und ein enormes Maß an "Commitment" erforderte. Das ist in hochkomplexen modernen Gesellschaften mit einem unüberschaubaren Wust von gegenseitigen Abhängigkeiten gar nicht umsetzbar. Also ist die Lüge nichts anderes als eine Art bequeme Abkürzung zur Erleichterung des Alltags und kommunikatives Schmiermittel zwecks Komplexitätsreduktion.

Weyoun
2012-05-27, 16:31:27
Raschomons These beißt sich gerade mit Shinks These:
Raschomon meint, dass politische Kommunikation so läuft, das chronisch und exzessiv gelogen wird. Das sind aber Politiker, die über mehrere Jahre hinweg im Amt bleiben und oftmals auch wiedergewählt werden. Lügen werden seiner Aussage nach vom Wähler nur selten als solche erkannt.
Shink meint, dass man nur bei Leuten lügen kann die man nur ein paar Mal sieht, bei Freunden etc. würde die eigene Glaubwürdigkeit sinken.

Die Schlussfolgerung die ich aus beiden Beiträgen ableite: "Lügen wie Politiker" macht erfolgreich. Konventielles Lügen nicht. Beim konventionellem Lügen wird man erwischt und die Glaubwürdigkeit sinkt.

D. h. wenn man gute Lügner mit ehrlichen Menschen vergleicht, sollte der ehrliche in der Tat der dumme sein. Wenn man schlechte Lügner mit ehrlichen Menschen vergleicht, sollten Ehrliche Menschen besser abschneiden (u. a. bessere Glaubwürdigkeit).

Heißt das nun, dass wenn man gut lügen kann es tun sollte? Und wenn man ein schlechter Lügner ist, lieber ehrlich bleiben sein sollte? Unter der Vorrausetzung, dass man erfolgreich sein will (was die Themenstellung "...der Dumme" indirekt aussagt: Beim Kampf um irgendwas hat der Ehrliche das Nachsehen).

Eine weitere Überlegung wäre:
Lügen ist erfolgreicher, weil man nicht aneckt. Lügen macht einen beliebter bei den meisten Menschen, da ich vermute, dass die meisten Menschen nie gerne etwas unbequemes hören. Fehler bei anderen aufzeigen bewirkt eine unbewusste Abneigung des Gesprächspartners dir gegenüber. Er wird wohl eher andere, bequemere Leute beim Vorschlag wer der nächste Abteilungsleiter sein soll bevorzugen.

Shink
2012-05-27, 17:04:01
Das "Lügen" im persönlichen Umfeld und der F-to-F-Kommunikation des Alltags ist den Leuten kaum auszutreiben. Eine rückhaltlos ehrliche Gesellschaft erfordert ein sehr hohes Maß an Konfliktfähigkeit und -toleranz, eine immense Dichte von Spielregeln in der zwischenmenschlichen Kommunikation, die dann auch noch befolgt werden sollten, damit es nicht bei all der unbequemen, manchmal bestürzenden Wahrheit im Übermaß andauernd zu ernsthaften und wütenden Auseinandersetzungen bis hin zu Mord und Totschlag kommt. Die rückhaltlose Wahrheitsliebe erfordert also eine ausgeklügelte und für alle verbindliche soziale Infrastruktur. Die will errichtet und unterhalten werden, was wiederum für den Einzelnen als bewußter Akt ziemlich aufwendig wäre und eine prohibitiv hohe Regelungsdichte, viel Verantwortungsbereitschaft, stete Aufmerksamkeit und ein enormes Maß an "Commitment" erforderte.

Die Alternativen zu Lügen im persönlichen Umfeld sind also:
- Dass man nicht über alles spricht. Informationen vorenthalten/nichts sagen ist etwas anderes als Lügen.
- Ernsthafte Auseinandersetzungen mit sozialem Rückhalt.

Funktioniert bei unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedlich gut und muss immer entsprechend gemischt werden. Arbeitskollegen oder Kunden muss ich nicht erzählen, dass ich ihre Verschwörungstheorien und Xenophobie für ganz großen Quatsch halte, meiner Frau werde ich es irgendwie beibringen müssen. Bei beiden Fällen würde ich mich hüten, echtes Interesse und Verständnis vorzulügen.

Lügen ist erfolgreicher, weil man nicht aneckt. Lügen macht einen beliebter bei den meisten Menschen, da ich vermute, dass die meisten Menschen nie gerne etwas unbequemes hören.
Beliebter bei den meisten Menschen: Quantitativ auf jeden Fall.
Die Frage ist, ob einen interessiert, was "die meisten Menschen" denken oder das, was "gewisse Menschen" denken.

Heißt das nun, dass wenn man gut lügen kann es tun sollte? Und wenn man ein schlechter Lügner ist, lieber ehrlich bleiben sein sollte? Unter der Vorrausetzung, dass man erfolgreich sein will
Wenn man gut lügen kann und es auch möchte, sollte man sich imo trotzdem gut überlegen, wann/bei wem es etwas bringt und wann nicht.

PHuV
2012-05-27, 19:33:33
Ich bliebe bei der Wahrheit. Einerseits, weil es sich bewährt hat, andererseits, weil Lügen Kraft und Aufwand kostet.

FeuerHoden
2012-05-27, 19:40:42
Ich bin ehrlich weil ich mir wünsche dass meine Mitmenschen ebenfalls ehrlich sind, ich kann nicht von ihnen erwarten dass sie ehrlich sind wenn ich es selbst nicht bin.

ux-3
2012-05-27, 19:51:01
Welche Folgen des Lügens oder der Ehrlichkeit sind denn hier gemeint?

Grundsätzlich durfte ich beoachten, das Lügner früher oder später von ihren Lügen eingeholt werden. Und das eigentlich immer in angemessener Weise.

Ich würde daher sagen: Wer ehrlich ist, ist kurzfristig betrachtet schlechter dran, als der Lügner. Langfristig hingegen besser. Daher stimmt beides auf seine Weise.

Filp
2012-05-27, 19:51:43
Ich bin ehrlich weil ich mir wünsche dass meine Mitmenschen ebenfalls ehrlich sind, ich kann nicht von ihnen erwarten dass sie ehrlich sind wenn ich es selbst nicht bin.
Genau so und nicht anders.

GBWolf
2012-05-27, 23:01:15
Grundsätzlich beides richtig. Der ehrliche ist auf kurze Sicht vielleicht der Dumme aber am Ende zahlt sich Erhlichkeit eigentlich immer aus. Zumindest ist das meine Erfahrung und die Sprichwörter stimmen daher wohl ;)

Veeegie
2012-05-27, 23:07:29
Wer ständig lügt bzw. sich besser darstellt, weiss am Ende selber nicht wer er ist. Gewisse Lügen sind find ich Okay
z.B. wenn ne alte Frau an Demenz leidet und in ihrer Welt ist, sollte man ihr nicht sagen, dass ihre Tochter verstorben ist

man muss auch auf der Arbeit nicht jeden Fehler zugeben, solang kein anderer den Kopf hinhalten muss. Weil nirgends wird soviel gelogen, wie auf der Arbeit und da kann man schnell der ehrliche Dumme sein.

Grundsätzlich würde ich jeden aber davon abraten, habe in meiner Vergangenheit zwar nicht direkt gelogen aber oft verschwiegen, wies mir wirklich ging und damit mir nur selber geschadet.

IchoTolot
2012-05-27, 23:21:55
Was ich für mich gelernt hab ist:

Manchmal muss man einfach mal die Klappe halten und auch mal Gedanken für sich behalten, man muss ja nicht mal lügen..einfach die Klappe halten. :D Die totale Ehrlichkeit lädt nun mal zum Ausnutzen ein. In der Welt in der wir leben, gehört einfach auch ein gewisser Realismus rein. Ehrlichkeitsidealisten gehen darin kaputt, und das nicht weil ja alle Menschen so böse sind, sondern weil es nun mal der evolutionäre Überlebenskampf ist. Tiere sind auch keine Idealisten, die passen sich an. Das sollte man als Mensch auch tun, das heißt ja nicht gleich, dass man zum fiesen psychopatischen Egomanen wird. Egoismus ist gesund, in Maßen.

KinGGoliAth
2012-05-27, 23:22:31
man muss ja nicht immer lügen, oft reicht es ja auch schon nicht die (ganze) wahrheit zu sagen.
nur immer soviel wahrheit wie gerade nötig ist und gut. besonders wenn die wahrheit potenziell gefährlich ist.
die politiker machen es ja exemplarisch vor aber es gilt für alle bereiche des lebens.

andererseits, weil Lügen Kraft und Aufwand kostet.

glaubst du? übung macht den meister.




der mensch ist nicht für die wahrheit gemacht, besonders nicht wenn sie unangenehm ist.
dabei ist völlig egal ob man im freundeskreis etwas dicker aufträgt um zu imponieren, ob sich tante erna am kaffeetisch die "neuesten gerüchte über x" gerade selber ausdenkt um sich wichtig zu machen, ob man der süßen blonden in der bahn die eigene freundin verschweigt weil sie sich eh auf dem absteigenden ast befindet, ob man der freundin nicht sagt, dass man eher auf dicke titten statt auf mückenstiche steht und ihr bauch halt doch etwas flacher sein könnte, man sich durchaus einen dreier mit der scharfen besten freundin der eigenen freundin vorstellen könnte oder dass man olivia wild eben doch jederzeit ohne zu zögern durchknattern würde wenn sich die chance bieten täte.
oder dass es uns nicht stört, wenn der sitznachbar in der bahn bestialisch nach schweiss und knoblauch stinkt.
dass man einer bekannten freundin sagt, dass sie schon den passenden kerl finden wird obwohl sie ein gesichtselfmeter ist und noch mit 25 auf ihren traumprinzen wartet, der sie auf händen tragen und mindestens so gut aussehen muss wie brad pitt und george clooney zusammen.

die liste an beispielen kann man beliebig fortsetzen und ich bin mir sicher, dass sich jeder hier bei der einen oder anderen "unwahrheit" ertappt fühlen wird. wahrscheinlich sogar deutlich mehr als ein mal.

lügen sichern das soziale zusammenleben und den frieden. ganz besonders und vor allem wenn das aussprechen der wahrheit einem sozialen suizid gleichkommen würde.

ShadowXX
2012-05-27, 23:50:21
Und mal ganz Ehrlich:
Alle die hier im Berufleben öfter (oder sogar dauernd) Kundenkontakt haben können mir weiß Gott nicht erzählen das Sie die nie anlügen (auch wenn ich es netter "kreative realität" nenne)...das geht Teilweise gar nicht anders.
Ich meine damit natürlich nicht völlig krasse oder überzogene Lügen, aber sowas wie Liefertermine bei Software, Termine für Bugfixing oder warum Problem xyz auftritt obwohl das doch getestet sein soll müssen schon mal öfters "kreativ" erklärt werden.

Veeegie
2012-05-28, 00:54:00
@King Ich glaube er meinte eher tiefgreifende Lügen, die einen dann über längere Zeit begleiten.

PHuV
2012-05-28, 01:38:26
glaubst du? übung macht den meister.


Jedoch haben alle Lügen das Problem der Inkonsistenz. Irgendwann und irgendwo kommt immer etwas heraus, oder man merkt, daß es nicht stimmt. Und wenn es das rauskommt, schämt man sich mehr, als wenn man gleich mit der Wahrheit rausrückt. Gut, wer die Scham abgelegt hat, hat vermutlich keine Probleme. Aber das liegt dann vielleicht auch daran, daß die Gesellschaft diese Lügen schnell vergißt, und auch entsprechend vergibt. Genau das sollte man aber nicht tun.


lügen sichern das soziale zusammenleben und den frieden. ganz besonders und vor allem wenn das aussprechen der wahrheit einem sozialen suizid gleichkommen würde.

Gut, dann kann man auch einfach schweigen, oder wenn man gefragt wird, und nichts sagen möchte, weist man darauf hin. Das ist auch eine Sache der Übung, nicht immer unbedingt alles zu sagen, oder auch dann etwas für sich zu behalten, ohne lügen zu müssen. Man ist ja nicht vor Gericht, und wenn man mich zu unangenehmen Sachen etwas fragt, was ich lieber nicht beantworten möchte, sage ich das so. Bisher wurde das immer so akzeptiert. Man muß daß eben auch mal aushalten können, eben nicht immer systemkonform zu sein, und auf unabdingliche Freundlichkeit oder Offenheit machen.
Oder was ist daran so schwer, bei solchen Fragen zu sagen: "Ich möchte dazu nichts sagen, da ich keinen verletzen oder zu nahe treten möchte, und mir ein subjektives Urteil darüber nicht zusteht!"?

DerEineHades
2012-05-28, 13:47:47
Die will errichtet und unterhalten werden, was wiederum für den Einzelnen als bewußter Akt ziemlich aufwendig wäre und eine prohibitiv hohe Regelungsdichte, viel Verantwortungsbereitschaft, stete Aufmerksamkeit und ein enormes Maß an "Commitment" erforderte. Das ist in hochkomplexen modernen Gesellschaften mit einem unüberschaubaren Wust von gegenseitigen Abhängigkeiten gar nicht umsetzbar. Also ist die Lüge nichts anderes als eine Art bequeme Abkürzung zur Erleichterung des Alltags und kommunikatives Schmiermittel zwecks Komplexitätsreduktion.

Hmm. Eigenartig. Ich hätte jetzt von Systemseite genau das Gegenteil behauptet und lasse es deswegen nach Möglichkeit. Wahrheit dient der Komplexitätsreduktion. Kommt jetzt vermutlich darauf an, wie man andere Sachen in seinem Leben sortiert. Man muss auf andere Moral weitestgehend pfeifen, sonst klappt das nicht, weil man durch die Wahrheit unter zunehmenden sozialen Druck gerät, sofern man dafür empfänglich ist. Ich verkneife mir Lügen, wo ich kann (was nicht heißt, dass ich es nicht tue), weil es mir schlicht zu kompliziert ist.

Man muss eine Geschichte mehr produzieren, eine Geschichte mehr merken, die Kommunikationsverläufe zwischen anderen kalkulieren, nicht zuletzt mobilisiert das Gewissen die Angst, erwischt zu werden (und die Angst hatte man ja eh schon, sonst hätte man sich nicht zum Lügen genötigt gefühlt)...ich finde, das erzeugt unglaublich viel Komplexität.

Ich habe die Erfahrung machen müssen, dass Lügen einen verdammt langen Atem haben, wenn es darum geht, einen zu überrunden und selbst nach Jahren wieder in den Arsch zu treten. Mag ja sein, dass einige Leute sich durch Lügen Vorteile verschaffen, und je nach Kontext halte ich das auch für absolut gerechtfertigt. Es gibt einfach kommunikative Situationen, in denen die Wahrheit in jedwedem Licht keinen Sinn macht und niemandem ein Vorteil daraus entsteht. Lügen ist aber allgemein keine sonderlich brauchbare Form der Kommunikation, weil sie potentiell alle daran angeschlossene Kommunikation hinfällig machen kann. Daher auch die Unterscheidung zwischen "white lies" und echten Lügen. Über "white lies" dürfte so ziemlich jeder hinwegsehen, echte Lügen haben oft genug eine Verweigerung der Anschlusskommunikation zur Folge. Zu Recht. Was will ich denn mit Informationen aus einem System, das mich mit Desinformation versorgt.

Monger
2012-05-28, 14:25:20
Ich finde, man kann die Frage ziemlich klar mit der Spieltheorie untermauern.

Klar ist: wer immer nach den Regeln spielt, ist anfällig für jemanden der sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht um die Regeln kümmert.

Aber die Regeln bestehen ja aus einem Grund. Würde sie jeder verletzen, würde es allen deutlich schlechter gehen. Würde es der Mehrheit gut gehen wenn sie auf die Regeln pfeift, würde sie es tun.

Natürlich stechen die Negativbeispiele eher hervor, deshalb hat die überwiegende Mehrheit das Gefühl zu einer Minderheit zu gehören.

Rein spieltheoretisch gesprochen liegt die Wahlheit wohl in der Mitte. Wer immer fair spielt, ist anfällig für Schwachstellen im Regelwerk. Wer immer unfair spielt, ist schnell auffällig, und isoliert sich.

Verbrecher sind meistens die Menschen die am wenigsten zu verlieren und am meisten zu gewinnen haben. Natürlich kann man mit Wut und Neid auf deren Erfolge schauen, aber man übersieht eben auch gern, dass viele Regelbrecher scheitern.

KinGGoliAth
2012-05-28, 14:39:01
@King Ich glaube er meinte eher tiefgreifende Lügen, die einen dann über längere Zeit begleiten.

wie wenn jemand seit 10 jahren verheiratet ist und 3 kinder hat aber im grunde seit 9 jahren weiß, dass er stockschwul ist?

mir fällt es schwer mir lügen oder unehrlichkeiten auszumalen, die einen längere zeit, also viele jahre, begleiten. vielleicht ist meine phantasie in dem bereich auch einfach zu begrenzt. wirkliche "lebenslügen" kann man kaum lange durchhalten bevor mehr und mehr leute verdacht schöpfen und das spiel durchschauen.

Monger
2012-05-28, 14:44:00
wirkliche "lebenslügen" kann man kaum lange durchhalten bevor mehr und mehr leute verdacht schöpfen und das spiel durchschauen.
Ich glaube, nicht wenige Menschen leben mit Lebenslügen. Wenn man mal die Großeltern Generation anschaut, ist das kriegsbedingt wohl die halbe Generation.

Menschen können sehr gut verdrängen. Aber Verdrängungsmechanismen haben auch gerne mal Psychosen als Nebeneffekt. Will nicht wissen, wieviele Menschen einen Dachschaden wegen unaufgearbeiteten Dingen haben.

KinGGoliAth
2012-05-28, 15:14:31
naja, es ist sicherlich ein extremes aber auch verständliches beispiel, dass viele der betroffenen ihre tätigkeit und rolle während der nazizeit soweit leugnen, dass sie schon selber glauben nie darin verwickelt gewesen zu sein. das trifft wohl auf alle zu, die in einen krieg verwickelt waren bzw dabei mitgewirkt haben.
das würde ich gerad ebei kriegen sogar für normal halten aber wo gibt es z.b. bei uns in heutiger zeit solche fälle?
höchstens meinetwegen männer, die zwei frauen und zwei familien haben und dann jeweils monatsweise bei einer familie sind während sie für die andere offiziell auf "geschäftsreise" sind aber das ist ja auch schon sehr klischeemäßig.

Veeegie
2012-05-28, 15:17:14
wie wenn jemand seit 10 jahren verheiratet ist und 3 kinder hat aber im grunde seit 9 jahren weiß, dass er stockschwul ist?

mir fällt es schwer mir lügen oder unehrlichkeiten auszumalen, die einen längere zeit, also viele jahre, begleiten. vielleicht ist meine phantasie in dem bereich auch einfach zu begrenzt. wirkliche "lebenslügen" kann man kaum lange durchhalten bevor mehr und mehr leute verdacht schöpfen und das spiel durchschauen.

Du wirst lachen aber so einen Fall hatte ich auf der Arbeit. Ich weiss nicht wie lange er verheiratet war aber er hatte 2 Töchter. Kam irgendwann mit frisierten Schädel zur Schicht und meinte ich lasse mich scheiden, habe einen Freund jetzt weil ich schwul bin und bin glücklich.

Es müssen aber nicht immer solche Brocken sein. Vieles baut auf Angst vor Ablehnung auf und wenn man damit erstmal angefangen hat, fühlt man sich gezwungen es weiter zu führen. Das kostet aber immens viel Kraft, weils ja auch einen daran hindert, der zu sein wer man wirklich ist und im Endeffekt kommts äh raus. Deswegen müssen auch z.B. alle Süchtigen erstmal mit ihrer näheren Umgebung klaren Tisch machen, um nicht mehr die ganze Arbeit an Lügen zu haben, die sie sich über Jahre aufgebaut haben.

@Monger
Dieses Verdrängen geschieht aber nur oberflächlich, frisst die Menschen aber von innen auf.

Watson007
2012-05-28, 15:18:46
Josef Mengele soll seinem Sohn gegenüber immer beteuert haben keinen Menschen umgebracht zu haben.

als ich "The boys from Brazil" neulich sah hatte ich ein bisschen zu dem Mann recherchiert, und auf Wikipedia steht dies:

Josef Mengeles Selbstzeugnisse zeigen einen von schwankenden Stimmungen geplagten, selbstmitleidigen und isolierten Menschen. Er rechtfertigte sich auch noch lange nach Kriegsende in seinen Aufzeichnungen mit Topoi der NS-Propaganda, etwa damit, dass das Judentum Deutschland den Krieg aufgezwungen habe, und dass es sich um einen Rassenkampf im sozialdarwinistischen Sinne gehandelt habe. Seinem Sohn gegenüber behauptete er, er habe nie jemanden getötet.[116] Rolf Mengele berichtete außerdem, sein Vater habe sich darauf berufen, in Auschwitz nur seine Pflicht getan und Befehle ausgeführt zu haben. Er, Josef Mengele, sei nicht persönlich für die Geschehnisse im Lager verantwortlich. Er habe Auschwitz nicht erfunden.[117]

hat wohl auch etwas von Selbstverleugnung.

DerEineHades
2012-05-28, 15:56:00
Aber Verdrängungsmechanismen haben auch gerne mal Psychosen als Nebeneffekt.

Nach welcher Theorie bitte das, Dr. Reich?

Ich stelle mir das gerade vor, wie da so einer hockt und einem Schizophrenen im Vollschub sagt: "Sagen sie ihrer Frau doch einfach, dass sie die Kirschtorte gegessen haben, Herr Huber." ;D

Monger
2012-05-28, 15:58:10
@Monger
Dieses Verdrängen geschieht aber nur oberflächlich, frisst die Menschen aber von innen auf.
Darauf wollte ich hinaus. Das innere Problem ist das größere.

Wenn jemand seinen Partner betrügt, ist die Gefahr eigentlich relativ gering, erwischt zu werden. Aber trotzdem hat es Auswirkungen auf die Beziehung: zum einen weil es anstrengend ist die Lüge aufrecht zu erhalten, zum anderen weil es die eigene Persönlichkeit verändert. Dann fängt unterbewusst diese Eskalation an: "wenn ich dazu fähig bin, dann mein Partner doch ebenso. Vielleicht betrügt er mich ja schon wesentlich länger?"

Das beeinflusst auch, wie man zukünftige Partner betrachtet. Wer Mißtrauen sucht, wird welches finden.

Manche können damit ganz gut leben, aber ich bin der Meinung JEDER Mensch verändert sich unter einer Lüge. Selten zum Besseren.

KinGGoliAth
2012-05-28, 16:15:16
Wenn jemand seinen Partner betrügt, ist die Gefahr eigentlich relativ gering, erwischt zu werden. Aber trotzdem hat es Auswirkungen auf die Beziehung: zum einen weil es anstrengend ist die Lüge aufrecht zu erhalten, zum anderen weil es die eigene Persönlichkeit verändert. Dann fängt unterbewusst diese Eskalation an: "wenn ich dazu fähig bin, dann mein Partner doch ebenso. Vielleicht betrügt er mich ja schon wesentlich länger?"

stimmt, wenn jemand sowas tut und die erfahrung macht, wie leicht es ist damit durchzukommen, wird auch gegenüber anderen automatisch sehr viel misstrauischer werden.
so hatte ich das noch gar nicht gesehen.

Monger
2012-05-28, 16:16:03
Nach welcher Theorie bitte das, Dr. Reich?

Auch wenn Sigmund Freud nicht mehr ganz taufrisch ist, das ist ja nunmal seine zentrale Entdeckung: dass es ein Unterbewusstsein gibt, dass dieses im Konflikt zum Bewusstsein stehen kann, und dass das die Ursache für bestimmte Angsterkrankungen sein kann.

Okay, nicht alle Lügen werden verdrängt, aber der Stresslevel steigt definitiv.

DerEineHades
2012-05-28, 16:57:36
Auch wenn Sigmund Freud nicht mehr ganz taufrisch ist, das ist ja nunmal seine zentrale Entdeckung: dass es ein Unterbewusstsein gibt, dass dieses im Konflikt zum Bewusstsein stehen kann, und dass das die Ursache für bestimmte Angsterkrankungen sein kann.

Okay, nicht alle Lügen werden verdrängt, aber der Stresslevel steigt definitiv.

Eine Psychose ist keine Angststörung. Und eine Angststörung auch keine Psychose.

Dass man von Lügen "gerne mal" psychische Störungen jedweder Art oder gleich so Hammerklopper wie Psychosen bekommt, darf man wohl im Reich der Binsenweisheiten irgendwo so zwischen "von Onanie wird man blind" und der Orgontheorie verorten. Da hilft auch kein Freud mehr.

PHuV
2012-05-28, 17:15:40
Einen krassen Fall habe ich mal in der Sendung Domian gesehen, als ich mal nachts nicht schlafen konnte, und durch Zufall auf diese Sendung stieß. Eine Frau wurde von ihrem Vater jahrelang mißbraucht, und hatte ein Kind von ihm. Sie hatte dem Kind nicht gesagt, daß sein Großvater eigentlich sein Vater ist, und mittlerweile war der Sohn über 30, und sie überlegte, es ihm zu sagen. Da kann ich mir schon vorstellen, daß so eine Lüge sehr wohl eine große psychische Belastung darstellt, genau wie andere Notlügen auch, sprich Lügen, die notwendig sind, die Existenz und weiteres zu schützen.

Domian riet ihr dann, es für sich zu behalten und es dem Sohn nicht zu sagen. Einerseits ist es sicherlich sinnvoll, andererseits kann das auch mal nach hinten losgehen, wenn mal ein Gentest gemacht wird, und festgestellt wird, daß die Mutter auch eigentlich die Schwester ist. :eek: Von Erbkrankheiten mal ganz zu schweigen.

Veeegie
2012-05-29, 00:36:52
Man kann ihr da aber auch zu nichts raten.
Es geht ja nicht nur um den Sohn, sondern auch darum dass sie mit der Lüge leben muss. Nach solchen traumatischen Erlebnissen, war sie bestimmt in irgendeiner psychatrischen Obhut und dort wurde das Thema dann auch mit Sicherheit bearbeitet. Wenn sie dann nach so langer Zeit, den Weg zu Domian sucht, spricht es eher dafür, dass sie mit dieser Last nicht leben kann.

Shink
2012-05-29, 10:01:24
Und mal ganz Ehrlich:
Alle die hier im Berufleben öfter (oder sogar dauernd) Kundenkontakt haben können mir weiß Gott nicht erzählen das Sie die nie anlügen (auch wenn ich es netter "kreative realität" nenne)...das geht Teilweise gar nicht anders.
Ich meine damit natürlich nicht völlig krasse oder überzogene Lügen, aber sowas wie Liefertermine bei Software, Termine für Bugfixing oder warum Problem xyz auftritt obwohl das doch getestet sein soll müssen schon mal öfters "kreativ" erklärt werden.
Doch, das erzähle ich dir weiß Gott.:freak:

Außer etwas wie "dazu will ich jetzt nichts sagen", "bitte sprechen sie darüber mit der Projektleitung" oder "bleiben wir bitte jetzt beim Thema" gilt als Lüge.

rotkäppchen
2012-06-02, 11:15:12
ehrlich währt am längsten,......
seit gestern bzw. vorgestern glaub ich das kein stück mehr. :mad:

IchoTolot
2012-06-02, 11:30:47
Was passiert?

rotkäppchen
2012-06-02, 12:19:31
andere lügen, sodass ich die schuld bekomme. das ist die kurzfassung.

Mosher
2012-06-02, 15:19:59
Mal so, mal so.
Es gibt gewisse Spielregeln und wenn man sich daran hält, fährt man imho am besten.

Ich kann das jetzt nicht in definierende Thesen fassen, aber so in etwa ist meine Auffassung zu diesem Thema.

Lyka
2012-06-02, 16:05:25
Mal so, mal so.
Es gibt gewisse Spielregeln und wenn man sich daran hält, fährt man imho am besten.

Ich kann das jetzt nicht in definierende Thesen fassen, aber so in etwa ist meine Auffassung zu diesem Thema.

jepp. sehe ich auch so. Es gibt Leute, die wollen belogen werden:freak:... (ja, ernsthaft) und die anderen ticken bei der Wahrheit nicht so aus:cool:

(R)evolutionconcept
2012-06-02, 18:12:07
Richte dich nach deinen Bekanntekreis, der ehrliche ist nunmal immer der Dumme.

War früher immer ein sehr ehrlicher Mensch und stand dazu, egal in welcher Hinsicht. Wir leben nunmal in einer Ellenbogengesellschaft, da ist kein Platz für Weicheier. Daher kann es nicht schaden, in gewissen Situationen sich etwas zurecht zu biegen.

Traurige Erfahrung der letzten Jahre, ist leider so.

Eigentlich ist es ja andersrum. Lügen ist was für Weicheier, nur starke Charaktere schaffen es auf Dauer (mitunter schmerzhaft) ehrlich zu ihrem Umfeld zu sein.

Ich halte es da wie viele hier. Es braucht, entgegen dem was die "Bild" behauptet, nicht jede Wahrheit einen Mutigen der sie ausspricht.
Kleine Flunkereien sind dann und wann auch okay, wenn man auf die Gefühle anderer Rücksicht nimmt..

Pirx
2012-06-02, 19:25:06
Genau, ehrlich macht sogar manchmal auch mehr Spass:D, wenn einem die anderen die Wahrheit nicht glauben wollen

(R)evolutionconcept
2012-06-02, 19:58:36
Manchmal stellen einen ja liebgewonnene Menschen Fragen, deren Antwort sie kaum hören wollen bzw. verkraften könnten. Meine Antwort lautet dann mitunter, mit spaßigem Unterton,:"Meine Mama hat immer gesagt, wenn ich nichts Nettes zu sagen habe, soll ich lieber nichts sagen."
Ist meist auch ein guter Ausweg.