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Frank
2003-02-11, 23:17:18
Von Bohlen & Reibach



Ein Dieter, ein Konzern, ein Erfolg: Von „Deutschland sucht den Superstar“ profitieren zurzeit alle außer den verbliebenen Kandidaten, denen der Rummel schon fünf Wochen vor dem großen Finale über den Kopf zu wachsen droht. Von Thomas Tuma





Wenn es irgendwie geht, möchte Stephanie ab dieser Geschichte keinen Nachnamen mehr haben. Vielleicht, weil er so kompliziert ist, dass sie ihn dauernd buchstabieren muss. Vielleicht, weil er zu sehr nach Leiberg bei Paderborn klingt, wo sie aufwuchs. Den Nachnamen brauchte sie zuletzt für die Ausbildung zur Werbekauffrau in Berlin. Neuerdings muss sie sich aber nur noch selbst vermarkten.

Seit vergangenem Sommer hat sie mehr erlebt als in den 22 Jahren ihres Lebens davor, das musikalisch geprägt war von einer überschaubaren Karriere als Mariah-Carey-Imitatorin bei Autohaus-Eröffnungen bis zu einem gefloppten Plattenvertrag. Sie kannte den schlechten Atem des Showgeschäfts schon ein wenig, als sie ihre Bewerbung abschickte wie Tausende weiterer Teenager.

So kam Stephanie zum ersten Casting, an dem Leute wie Janis Joplin oder Bob Dylan wahrscheinlich schon deshalb gescheitert wären, weil Juror Dieter Bohlen dann gesagt hätte: „Dein Outfit ist echt megageil - für die Müllabfuhr in Castrop-Rauxel.“

Für Stephanie folgte noch ein Casting und noch eines und noch eines. Sie hat etliche Talent-Schnuppen neben sich verpuffen sehen. Im Dezember gehörte sie zu den letzten 10 Kandidaten, die noch übrig waren.

10 aus 10000.

Plötzlich war sie Teil von etwas sehr, sehr Großem, was seither jeden Tag noch größer wird.

Der anschwellende Popgesang nennt sich "Deutschland sucht den Superstar", läuft bis 8. März auf RTL und beschäftigt mittlerweile alle Medien vom „Neuen Deutschland“ bis zur „FAZ“, auch weil die Quote von Woche zu Woche atemberaubender wird (siehe Grafik). „Ich bin fast gestorben“, erinnert sich Stephanie an das Bewerbungsmarathon. Sie starb dann auch überraschend schnell - vorläufig.

Am 21. Dezember wählte das TV-Publikum sie via Telefon in den Orkus. Da waren's nur noch neun. In jener Nacht fuhr sie mit ihren Eltern zurück in ihr Jung-Mädchen-Zimmer nach Leiberg bei Paderborn, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die Träume aus den Gedanken und redete sich ein, dass es schlimmer hätte kommen können.

Es hätte wirklich schlimmer kommen können. Zum Beispiel, wenn sie aus diesem TV-Karriere-Schnellkochtopf nicht rausgeflogen wäre.

Denn die restlichen neun Akkordarbeiter kasernierte RTL danach in einem Haus in Köln-Porz, wo die nächste Kneipe „Bei Uschi“ heißt. Um das Grundstück herum stehen schwarz drapierte Stahlzäune wie einst bei „Big Brother“. Wer vor drei Jahren „Zlatko, Zlatko“ schrie, fährt jetzt eben nach der Schule hierher, versaut die Vorgärten und kreischt die Namen von Vanessa und Daniel und Alex und Gracia und Juliette übern Zaun.

So heißen jene fünf, die das musikalischen TV-Gericht bis Samstag vergangener Woche überlebten. Man ist mittlerweile sehr einsam in deutschen Kantinen und Frisiersalons, wenn man die Kurz-Biografien des Quintetts nicht parat hat.

Daniel Küblböck, 17, ist der Einzige, der noch einen Nachnamen haben darf, weil er als Type gilt, Modell: tuntig-tantiger Hach-Gottchen-Pfadfinder auf Ecstasy mit typischen Typen-Sätzen wie: „I bin halt der, der w’s net nach dem macht, was die andern sagen.“ Der Dieter sagte mal beim Casting, Daniel habe „echt 'ne Schraube locker“. Er muss einen milden Tag erwischt haben. Daniels Stimmlage zwischen Bibi Blocksberg und Kastrat kann problemlos Milch in saure Sahne verwandeln.

Aber der angehende Kinderpfleger mimt die esoterisch angehauchte Kreisch-Säge so herzzerreißend, dass er wahrscheinlich niedrigste Mutterinstinkte weckt. Einmal saß die „Super-Husche“ (so das Magazin „Eurogay“) nachts auf dem Weg zu irgendwelchen Berlin-Terminen in einer Autobahnraststätte, als sich plötzlich sehr dicke und große weibliche Fans vor ihr aufbauten und gurgelten: „Ihr seid aber klein.“ Ja, sind sie. Fast alle.

Vanessa ist auch 17 und geht noch zur Schule. Das Retorten-Törtchen Gracia, 20, gilt als deutsche Antwort auf Anastacia, weil sie gelegentlich mit Brille zu brillieren sucht. Juliette ist 22 und eine erfahrene Musical-Amazone, die ganz dolle eisig mit den Augen funkeln kann in Ich-zieh-das-jetzt-durch-Manier. Alex, 19, sieht aus wie Schumi III, könnte aber „der deutsche Robbie Williams“ werden.

Es fällt überhaupt auf, dass fast jeder die Antwort auf irgendwen Internationales sein soll. Das Quintett ist ein einziger Imperativ: Mach uns in Deutschland weltberühmt, Dieter! Dafür gehen wir nicht über Los. Wir ziehen erst später die Kohle ein. Wir gehen ins RTL-Gefängnis und kommen erst raus, wenn ihr es uns sagt.

Am Montag vergangener Woche schlurchten sie morgens ins Tonstudio von Georgi Nedeltschev in der Kölner Altstadt. Der Bulgare hatte hier schon Whitney Houston und John Bon Jovi. Er ist seit Jahrzehnten im Geschäft. Wenn man ihn nach den Gesangsqualitäten der „Superstar“-Restschar fragt, rollt er die Augen, als wollte er sagen: Wenn die das Konzentrat einer landesweiten Suche nach Erst-Stimmen sind, dann „Gute Nacht, Musikgeschäft“. Aber darum geht es auch gar nicht.

Es geht darum, dass die „Superstars“ bitte schön noch mal die Studiotreppe hochlaufen, weil RTL immer mitfilmt: „Schaut doch noch mal ganz erstaunt!“ Oder: „Freut euch doch noch mal!“ Die fünf schauen erstaunt und versuchen sich zu freuen. Sie sind kaputt. Sie glauben fest an Masochismus als Einstiegsvoraussetzung fürs Showbiz. Sie wollen nicht zicken, sondern funktionieren. Aber es fällt ihnen von Woche zu Woche schwerer.

„Es gibt Tage, wo ich denke. Jetzt packste die Koffer“, sagt Vanessa. Sie raucht. Sie hat wieder geweint. Fürs Wochenende waren ihr endlich freie Tage versprochen worden. Ihre philippinische Mama wartete schon daheim in Oberhausen. Aber dann kam ein Auftritt bei „Wetten, dass ... ?“ dazwischen. Die Quote war gewaltig, Vanessas Enttäuschung auch.

Einmal dichtete ihr die Boulevardpresse eine Dreiecksliebe an. „Es ist schlimm für 'n 17-jähriges Mädchen, als Schlampe der Nation dazustehen“, sagt das 17-jährige Mädchen. Dann fängt es an, von Kinderprostitution auf den Philippinen zu erzählen und wie furchtbar das dort sei.

Man merke erst mal, „was vor allem ,Bild' für 'ne Mega-Macht hat“, sagt sogar Alex, der sich aber noch megamäßig über all die Plüschtiere freut, die ihm Fans schicken, denen er natürlich „total dankbar ist, weil die uns ja machen“. So oder so wird er ein gemachter Mann sein.

Gracia hat in der Fan-Post auf dem Billardtisch ihrer WG-Kaserne noch keine Heiratsanträge gefunden. „Die wollen nur mit mir ficken“, sagt sie nüchtern. Solche Ausrutscher müssen sie ihr beim nächsten Pressetraining abgewöhnen, wenn es noch dazu kommt. Daniel hat sich an Morddrohungen mittlerweile gewöhnt.

Nervlich sei das ganze Theater „sehr belastend. Aber wenn die anderen Sau sind, musst du eben genauso Sau sein“, sagt Juliette kühl, die sich mittlerweile klar gemacht hat, „dass wir der kleinste Teil in diesem Riesen-Macht-Ding sind. Ich bin nicht mehr der Mensch Juliette, sondern die Quote Juliette. Du wirst gehandelt, als seist du nix wert.“ Nun ja ...

Einerseits sind die restlichen „Superstars“ unglaublich wichtig. Jetzt zuppeln Choreografen und Vocal Coaches an ihnen herum, Musiker und Stylisten, Presseleute und sogar eine Psychologin, während die fünf ausdauernd intonieren, dass sie sie selbst bleiben wollen. Am nächsten Tag stehen sie in Klamotten herum, für die der Kostümbildner den Caritas-Altkleiderpreis bekommen müsste.

Andererseits sind sie völlig unwichtig. Denn für die Windmaschine RTL sind die Teenager-Träume nichts weiter als ein neuer Antrieb, der den schönen Vorteil hat, dass er nix kostet und nie versiegen wird. Kinderhoffnungen als natürliche Energiequelle. Biologisch aufbaubar.

RTL hat die dicken Quoten und Werbeeinnahmen. VOX zeigt die TV-Brosamen. BMG bringt die Platten heraus. Es wird bald Videos und DVDs geben. Die Medienfabrik GmbH drückt ein grottiges „offizielles Magazin zur RTL-Show“ in die Kioske. All diese Objekte gehören zum Medienkonzern Bertelsmann in Gütersloh, wo sie jetzt viel von Synergieeffekten und Wertschöpfungsketten reden. Wann kommt die Daniel-Barbie mit Fetthaar, Hornbrille und Karostrümpfen?

Es geht um viele Millionen Euro. Es geht nie um Kreativität oder Kunst. Aber das hat auch nie jemand behauptet.

„DSDS“ wird das Format mittlerweile abgekürzt in Anlehnung an die zweite große Erfolgsserie des Senders: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ („GZSZ“). „DSDS“ inszeniert sich selbst als Seifenoper mit dem Authentizitätssiegel „gefühlsecht“. Jeder spielt seine Rolle, so schlecht er kann.

Da ist zum Beispiel die Moderatorin Michelle Hunziker, bei deren Stimme es jeden Maulwurf unter der Erdkrume zerreißen muss. Da ist ihr Kollege Carsten Spengemann, der früher als Disco-Türsteher arbeitete und dann drei Jahre als öliger Bodyguard-Darsteller durch die Kulissen von „Verbotene Liebe“ stolpern durfte. Seit vergangener Woche hat er ein Strafverfahren am Hals, weil er einer Verflossenen einen Cartier-Ring geklaut haben soll.

Da ist Juror Thomas Stein, der mit Hingabe den bräsig-eitlen BMG-Plattenboss mimt, der er auch in der Wirklichkeit ist. Noch. Seine Bilanzen sind in letzter Zeit nicht gut. Eigentlich schlecht. Wenn es so weitergeht, lassen sie ihn in Gütersloh bald nur noch Firmenjubiläen auf der Heimorgel beschallen.

Vor allem aber ist da der Dieter, unumstrittener König im Krieg der Sternchen. Bohlen hat etwa eine Phantastilliarde Platten verkauft, auch wenn viele seiner Modern-Talking-Songs gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen.

Er hat sich beim Sex mit Naddel den Penis verknackst. Er hat Verona Feldbusch erst geheiratet und später verprügelt. Bohlen (halbnackt) ist mit seiner neuen Freundin Estefania (ganz nackt) und mit Schrotflinte bewaffnet durch den Wald hinter seiner Villa in Tötensen gerannt. Und am Ende hat er derlei Müll noch als Buch recycelt, dessen Titel erst durch einen Bindestrich wirklich Sinn ergibt: Dieters „Nichts - als die Wahrheit“ verkauft.

Kurz: Er hat all das gemacht, wovor er seine „Superstars“ als Schutzheiliger des deutschen Massengeschmacks nun warnt. Bohlen hat das hiesige Musikgeschäft gerettet. Dann den Buchmarkt. Schließlich das Privat-TV und damit sich selbst. Man gönnt ihm Teppichluder wie Tantiemen.

Seit er bei „DSDS“ Rampensau und Über-Ich-AG spielt, perlt auch die letzte klassische Kulturkritik endgültig an ihm ab. Wenn RTL als Nächstes „Deutschland sucht den Bundeskanzler“ auskarteln würde - Bohlen könnte die Monarchie ausrufen.

Der Dieter sagt, was er denkt, auch wenn er manchmal nix denkt. Der Dieter verstellt sich nicht. Der Dieter zahlt seine Steuern immer noch in Deutschland. Der Dieter kennt das Geschäft.

Er kennt es so gut, dass er schon während der laufenden Show eine Single zusammengehauen hat mit seinem Gefangenenchor, den er nun „Superstars United“ nennt - Stephanie inklusive, womit wir dem Happy End näher kommen. Das Liedchen „We have a dream“ jedenfalls steht wie festgefroren an der Chartsspitze.

Bohlen hat sich bei der Komposition selbst beklaut. Aber ist das ein Skandal? Ist es ein Skandal, dass der rausgewählte Gesangskleindarsteller Daniel Lopes („die deutsche Antwort auf Ricky Martin“) schon einmal mit BMG über einen Plattenvertrag verbandelt war? Dass er im Köln-Porzer Musikantenstadl anfing, mit Juliette rumzumachen, als er draußen noch eine andere Freundin hatte?

Wenn man gerade denkt: Nun geht's nimmer schlimmer, dann reißt ein gewisser Gerd Graf Bernadotte noch eine Schublade tiefer auf, nennt sich Berater von Daniel Lopes und klagt RTL an, der Kanal habe bei den Telefonabstimmungen gemauschelt. Bernadotte, der seinen Adel einst durch Adoption erwarb, saß wegen Betrugs bereits mehrere Jahre in Haft und war früher einer der Kofferträger im Bohlen-Umfeld. Sein letzter großer PR-Coup bestand darin, Naddels Brüste wiegen zu lassen.

Irgendwie hängt inzwischen alles mit allem zusammen. Und der einzige Skandal wäre es, wenn den Bertelsmann-Profis bis zum Finale nicht noch ein paar gute „Superstar“-Skandale einfallen würden.

Die Geschichte von Bohlen & Reibach man muss sie als Gesamtkunstwerk begreifen. Als Mosaik aus bunt schillernden Trash-Steinchen. Und jede Scherbe bringt Kohle. Wer wüsste das besser als der Dieter, der bereits an ähnlichen Projekten porkelt.

Bei der RTL-Fortsetzung, die im Herbst starten soll, will er wieder den Juror geben. In den USA hatte der Start der zweiten Staffel gerade eine noch gigantischere Quote als das Finale der ersten. Am 10. Februar bringt Bohlen das „Superstar“-Album raus, das er in nur zwei Wochen produziert hat. Er will auf Tournee gehen damit. Er will auch die Final-Verlierer „nicht ins Nichts fallen lassen“.

Ex-Kandidatin Stephanie übrigens ist mittlerweile dauernd unterwegs. Hier ein Auftritt bei „Top of the Pops“. Da eine Talkshow. Für alle Fälle: Stephanie. Die Karriere ohne Nachnamen hat begonnen. Sie könne schon jetzt davon leben. Sie glaubt daran, dass es weitergeht.

Oder wie der Dieter sagt: „Man muss den ,belief' haben.“

Unregistered
2003-02-11, 23:36:39
traurig, aber wahr...

bOlTo
2003-02-11, 23:39:04
genau das wollte ich auch gerade sagen, ist eigentlich eine Schande so was aber solange man damit Geld machen kann sieht man ja wo es hingeht...

Unregistered
2003-02-11, 23:48:13
Es gibt nix, was so dumm ist,als daß es ein anderer nicht noch kaufen würde.

Wenn ich ehrlich bin:wenn ich die Möglichkeit hätte, den Leuten mit purem Dreck das Geld aus der Tasche zu ziehen, würd ich das genauso machen.

Metzger
2003-02-12, 09:28:44
in nem halben Jahr kräht nach den "Superstars" doch kein alter Hahn mehr. Wer redet jetzt denn noch von den BigBrother-Knallschoten?!

Also ich für meinen Teil ignorier den ganzen Medienrummel. Alles was ich von dem "Talentwettbewerb" mitbekomme, ist beim Zappen, wenn ich mal beim Raab lande - oder im Spiegel.