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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : 2017 - und die Computerschach-Welt dümpelt auf Win9x Niveau herum


Simon Moon
2017-02-03, 15:28:51
Hallo

Irgendwie frag ich mich, was da los ist. Wenn man im Internet schaut, gibt es wohl kaum ein klassisches Brettspiel, dass so häufig gespielt wird. Es gibt diverse Schachportale welche über das www zu erreichen sind und noch viel mehr kleinere bis grosse Schachserver über ICC. Da würde ich eigentlich erwarten, dass es auch die ein oder andere vernünftige Offline-Software gibt.

Da ich Fritz noch aus Kindheitstagen kannte, gab ich der mal eine Chance und probierte es aus. Daher kommt die Software mit einem Ribbon-Interface, welches auf den ersten Blick an ein Office zu WinXP Zeiten erinnert. Na gut, gibt schlimmerers, denk ich mir.

Doch relativ schnell entdecke ich zwar viele Funktionen, aber die sind irgendwie alle doppelt und dreifach verteilt. Mal muss man in Menü xy etwas einstellen, damit Funktion in Menü yz aktiviert werden kann. Und will man mal ein normales Standard PNG zur Analyse durchjagen? Da muss man erst das zusätzliche Datenbankprogramm öffnen, das File dort importieren und danach nochmal über das eigentliche Schachprogramm in der Datenbank suchen, wo man es gerade abgelegt hat.

Überhaupt wirkt das Interface nicht wirklich durchdacht. Generell hat man das Gefühl, die Entwicklung der GUI wurde wohl vor etwa 10 Jahren aufgegeben. Davon zeugt nicht nur das Ribbon-Interface, auch der 3D-Renderer hat irgendwo vermerkt, dass er Pixel & Vertex-Shader 3.0 nutzt. Wobei auch das wohl eher ein kosmetiches Update auf Dx9.0 war und eher noch so moderne Features wie BumpMapping zum Einsatz kommen. Wieso man dieses 3D Schach nicht gleich entfernt hat ist mir irgendwie ein Rätsel.

Jedenfalls find ich es ziemlich erstaunlich, dass man sowas 2015 dann nochmal als neue Software veröffentlicht.

Also hab ich mich mal auf die Suche nach Freeware Alternativen gemacht und mal wild runtergeladen was so zu finden war. Alles ausprobiert hab ich noch nicht im Detail. Ich fang aber mal bei den Enttäuschungen an von Hinten an:

Penguin Editor

Wer kann dem Namen schon wiederstehen? Tönt doch irgendwie witzig, verrspielt - auch wenns nur ein Analyseprogramm ist. Doch dachte ich, dass Fritz UI sei schon angestaubt. Also das Ding toppt alles - erinnert mich irgendwie an Schachrätsel in der Zeitung. Nur das es irgendwie ständig flimmert.

https://abload.de/img/snip_201702031320065tkrk.png


Austesten konnte ich es leider nicht wirklich. Vielleicht verpasse ich also das grossartigste Stück Schachsoftware, dass je programmiert wurde. Aber bei dem Interface hält nicht mal ein Buchhalter durch.

PGN Mentor

Zeitlich befinden wir uns wohl nun wieder irgendwo um 2007 und sind zurück beim Ribbon Interface. Kombiniert mit dem Charme einer Hilfe-Datei. Spannen find ich vor allem die synchrone Anordnung der Funktionen. Im Screenshot illustriert anhand der Search-Kartei.
https://abload.de/img/snip_20170203134251koast.png

Auch dieses Programm hat lustige Eigenschaften. Ändert man die Grösse, kann es schon mal passieren, dass es von einem Bildschirm auf den andern springt oder findet, dass die Grösse die man eingestellt hat nicht gerade seiner Laune entspricht. Geht man zur Engine und möchte ein Spiel analysieren, kommt die Meldung, dass dies nur im Game-Mode gehe. Oder es plobt ein Fenster auf, in der man einstellen kann wie rochiert werden darf gefolgt von einem "Crafty Interface", welches eine Eingabe möchte. Leider weiss ich nicht was für eine -> klicke ich ok, passiert nichts, klicke ich Exit verschwindet das Interface. Ok, doch keine Analyse, schade.

Crafty Chess

Irgendwie hat die Software ihren Charme. Sehr schlank, zwar nicht zur Analyse gedacht, dafür lassen sich Engine-Tourniere damit wohl machen. Das Highlight ist aber eindeutig wenn man selber spielt. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern macht die Engine da standardmässig Zug um Zug. Dabei sagt eine Computerstimme die Züge jeweils in einem Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch an das tönt dann in etwa so "King zu Be6", "Castlis Kingside" "Bis-Hop zu DE-Se..ben" ... Wobei ich eigentlich nur empfehlen kann, das mal selber auszuprobieren. Nur auch wenn mir gefällt, wie schlank die Software ist und wie flüssig sie läuft, sogar eine 3D-Engine auf Fritz Niveau ist integriert, mangels Analyse-Funktionen nicht das was ich suche.

https://abload.de/img/snip_20170203135439fgudj.png



WinBoard 4.8

Langsam wird die Software schon ziemlich gut - aber die Ansprüche sind insofern auch gesunken. Aber es handelt sich hier auch um Freeware, da will ich nicht heikel tun. WinBoard ist dabei sogar wirklich ein sehr ambitioniertes Projekt und bietet die Möglichkeit von Engine-Matches, Mensch vs Computer oder die Möglichkeit sich mit einem ICS Server zu verbinden. Zudem kann man auch diverse andere dem Schach ähnliche Spiele darauf spielen eine Liste gibts hiere: http://hgm.nubati.net/ . Definitiv sehr liebevoll gemacht, läuft sauber und flüssig.

https://abload.de/img/snip_20170203141335r6lmz.png



Arena 3.51

Vom Umfang her ist das Programm Fritz mindestens ebenbürtigt. Nicht umsonst scheint es was Engine-Matches und Schach spielen anbelangt, die quasi Freeware Referenz zu sein. Leider sind die Optionen so vielfälltig, dass man offenbar mit dem dokumentieren gar nicht mehr nach gekommen ist. Eine Engine konfigurieren ist sowieso häufig schon nicht so einfach, da jede UCI Engine irgendwie wieder andere Einstellungen bietet und das Programm natürlich nicht weiss, was man bei welcher Engine alles einstellen kann. Hier kommt man aber an gewisse Einstellungen z.b. nur über die Engine-Verwaltung und damit man diese erreicht, muss man zwei Engines geladen haben. Dabei rechnet das Programm mal wild drauf los, sobald die zweite Engine geladen wird. Irgendwie scheint es, als liegt der Fokus hier darin, möglichst viele Features zu implementieren - und wenn eine Funktioni da ist, zur nächsten - auch wenn jemand der das nicht programmiert hat, keine Ahnung hat was er da einstellt.

Was man aber auch erwähnen muss - die Engines rennen mit dem Ding wie mit keiner anderen Software. Eigentlich könnte man das Programm auch prima als Benchmark verwenden.

https://abload.de/img/snip_20170203142857e5srs.png


SICD

Eigentlich das genaue Gegenteil von Arena. Ursprünglich war es auch ein reines Datenbank-Programm und das merkt man. Die Engine-Implementierung ist zwar vorhanden und funktioniert soweit - aber mit etwa 1/4 der Leistung. Aus irgend einem Grund schafft es die Software dabei aber trotzdem, dass in meinem System alle Prozesse wie irre Last generieren. Da ist die CPU dann zu 100% ausgelastet, aber SICD verursacht vielleicht so 5 - 30% Last. Keine Ahnung wieso das so ist. Auch die Hash-Files werden nicht wirklich benutzt. Für eine taktische Analyse taugt das Programm daher nur bedingt.

Das macht es aber keineswegs schlecht - die Funktionen der Datenbank sind so umfangreich wie bei keinem anderen Programm, dass ich bisher angeschaut habe. Es ist daher viel eher auf eine positionelle, strategische Analyse ausgelegt. Aber eine passende Datenbank vorausgesetzt, kann man damit z.b. ideal analysieren, ain welchen Situationen man schwächelt und welche Fehler sich wiederholen. Oder einfach mal so in der Weltelite stöbern.

https://abload.de/img/snip_20170203145925x2l3i.png https://abload.de/img/snip_20170203150309atp4h.png


Noch nicht detailliert angeschaut hab ich dafür Tarrasch Chess GUI V3, das ein würdiger Konkurrent zu SCID sein könnte. Auch SCID vs PC, offenbar ein Fork vom Original SCID, muss ich mir mal noch genauer anschauen. Weniger everspreche ich mir von AlphaChess oder BABAsChess, José könnte noch ganz interessant sein zumindest als normaler Schachcomputer. Aber dazu bin ich alles noch nicht gekommen.

Fazit: Wen ich sehe, was die Freeware Programme können, ist Fritz als kommerzielle Software eigentlich eine Frechheit. Dabei ist es schade, dass von kommerzieller Seite her gar keine Mühen mehr betrieben werden, offline Schachprogramme zu entwickeln. Offenbar konzentriert sich chessbase mehrheitlich darauf Abos für ihr Onlineangebot zu vertreiben und verhökert noch ein paar Schachengines und Datenbanken. Wobei auch der Preis für die Schachengine jeweils ein Witz ist - im Prinzip würde hier für jeden normalen Spieler bereits "schwache Engine" mit <3'000 ELO schon bei weitem reichen - aber wenn man mal schaut, was unter den Top10 (http://www.computerchess.org.uk/ccrl/4040/)vertreten ist, ist es geradezu lächerlich. Zumal es doch gerade beim Schach eigentlich sehr gut möglich sein sollte, die Aufgaben zu parallelisieren und auf die Grafikkarte auszulagern - dann hätten kommerzielle Engines vielleicht wieder einen merklichen Vorteil, wobei das natürlich sowieso eher theoretischer Natur sein dürfte.

Kartenlehrling
2017-02-03, 15:51:54
Bei Computerschach ist ja eigentlich die KI das wichtigste.
Optisch schön machen geht immer, die nächste Stufe ist ja Starwars Holo-Schach, VR-Schach wär eine alternative um ins 3D zu gehen.

Coming soon to a VR store near you.

rynB6XMVF0o
Magician's Gambit: Chess in VR

Simon Moon
2017-02-03, 17:14:26
Bei Computerschach ist ja eigentlich die KI das wichtigste.

Eigentlich nicht so sehr. Die Engines sind so stark, da spielt es für den normal ambitionierten Spieler keine Rolle, welche er nimmt. Wichtiger ist hier die Auswertung bzw. die Aufbereitung derer. Und da würde man eigentlich mehr erwarten können, finde ich.

Eine Engine kann dir nicht sagen, wie dein positionelles Spiel (aus einer menschlichen Perspektive) ist - sie rechnet einfach ihre 20 - 30 Züge durch und gibt dir an, wenn du mit Figur xy den Zug machst, ist die Bewertung höher. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren nicht viel geändert.

Alternativ organisiert man sich ein statistische signifikante Datenbank mit Spielen der Weltelite und vergleicht seine Spiele damit und schaut, wo man sich in seltenere/verlustreichere Positionen begeben hat und versucht diese zu vermeiden in weiteren spielen.

In beiden Fällen ist der Aufwand riesig und die Chance gross, dass die eigene Analyse in einer Sackgasse enden - wenn man überhaupt soweit kommt. Was es bräuchte, wäre eine intelligente Verknüpfung zwischen Eröffnungsdatenbank und Schachengine, welche dann auch noch nachvollziehbare Strategien aufbereiten und erklären kann. Nicht unmöglich denk ich, aber kaum mit den Mitteln einer Freeware Entwicklung aufzubringen.

Der Vorteil von Stockfish liegt daher auch nicht in erster Linie in seiner Stärke, sondern darin, dass man damit eben noch 6 statt 7 Sekunden pro Zug braucht um diesen in eine Tiefe von 20 Zügen zu analysieren. Dann hat man die Auswertung 1 - 2 Minuten früher - ist jetzt auch nicht weltbewegend, wenn man danach 1 - 2h die Partie durchgeht.

Optisch schön machen geht immer, die nächste Stufe ist ja Starwars Holo-Schach, VR-Schach wär eine alternative um ins 3D zu gehen.


Quantum Chess :biggrin:
https://www.youtube.com/watch?v=Hi0BzqV_b44

Quantum Chess :freak:

gordon
2017-02-03, 17:26:55
Ich werfe mal noch

Lucas Chess http://www-lucaschess.rhcloud.com/index
Arasan http://www.arasanchess.org/ und für die Optik
Dreamchess http://dreamchess.org/

in die Runde.

RaumKraehe
2017-02-03, 17:27:50
Das dürfte weniger an den Programmen bzw. der Art von Programm liegen als dem Fakt geschuldet sein das Programmierer in der Regel wirklich schlechte GUI Designer sind.

Ein GUI durchdacht zu designen ist eine Wissenschaft für sich.

Simon Moon
2017-02-03, 22:53:59
Ich werfe mal noch

Lucas Chess http://www-lucaschess.rhcloud.com/index
Arasan http://www.arasanchess.org/ und für die Optik
Dreamchess http://dreamchess.org/

in die Runde.

Sehen nett aus.

Das dürfte weniger an den Programmen bzw. der Art von Programm liegen als dem Fakt geschuldet sein das Programmierer in der Regel wirklich schlechte GUI Designer sind.

Ein GUI durchdacht zu designen ist eine Wissenschaft für sich.

https://chessprogramming.wikispaces.com/SCID


Hab nun mal noch durch Scid vs. PC geschaut. Und das kommt wirklich schon nah an das ran was man sich wünschen kann. Schnelles Interface, die Engine läuft super und hat (bei Bedarf) eine gute Anbindung an FICS.

Dabei bin ich generell über die Geschichte von SCID neugierig geworden. Offenbar hat da einer schleichend die Kontrolle über das SCID Projekt übernommen und den ursprünglichen Entwickler rausgemobbt. Der hat dann wiederum sein Projekt als SCID vs. PC parallel geführt, da die Probleme diesbezüglich scheinbar schon länger vorhanden und bekannt sind. Muss mir das noch genauer geben. Aber irgendwie gabs da 2004 ein Fork von SCID unter dem Namen ChessDB, welches zu 90% eigentlich SCID Code war.

Aber irgendwie gings dann richtig los so um 2010 rum - da startete dann auch noch ChessX, sowie SCIDB. Von ChessX existiert dabei sogar tatsächlich eine lauffähige Version und ich finde die technisch ziemlich beeindruckend. Also zumindest, was sie zeigt, dass so ungefähr möglich sein könnte.

Der Knaller ist aber der Entwickler von SCIDB

Auf https://sourceforge.net/projects/scidb/ hat er schön einen Download bereit und wenn man nicht genau achtet, was man da herunterlädt, denkt man, ah, letztes Update Ende Januar, läuft auf Windows. Zudem sind da ja Features schon drin, bis zum geht nicht mehr.... - nach dem entzippen spätestens stellt man dann fest, dass man da nun seine zusammengewürfelte Scriptsammlung runtergeladen hat.

Darin findet man dann ein Lies mich, wo er sich darüber lustig macht, wie die Entwickler von chessX nun schon so lange programmieren und er mit seinem Python-Script ja so viel effizienter ist. Und das Textwidget ist natürlich ultimativ. Das File muss noch von vor 2011 stammen, erwähnt er doch, dass ein Release nicht vorher stattfinden würde.

Oft wurden Verbesserungsvorschlaege fuer Scid gefordert wie z.B. die
Umstellung von Tcl/Tk auf andere GUI Bibliotheken; darunter Gtk und
Qt. Der Autor, der mittelerweile ueber 25 Jahre Programmiererfahrung
verfuegt, kam nach einer Analyse zu dem Schluss, das Tcl/Tk einer der
besten Alternativen (fuer nicht-kommerzielle Programmentwicklung)
darstellt. Man handelt sich keine Abhaengigkeiten zu riesenhaften
Bibliotheken ein, und die gennanten Tools sind nicht so anpassungs-
und erweiterungsfaehig wie Tcl/Tk. Die Moeglichkeiten des Text-Widgets
sowie des Canvas-Widgets in Tk suchen ihresgleichen. Auch das
Tree-Control (http://tktreectrl.sourceforge.net) fuer Tk setzt einen
Standard.

Zudem ist der Entwicklungszyklus mit einer Scriptsprache viel schneller
als mit C oder C++. Ein Beispiel duerfte das Projekt ChessX
(http://chessx.sourceforge.net) sein, das nach jahrelanger Entwicklung
mit mehreren Entwicklern niemals soweit kamen, wie es das Projekt Scidb
jetzt schon ist. Die meisten Entwicklungen fuer die Vorabversion von
Scidb sind bereits geschehen oder am Abschluss. Ein Nachteil von
Tcl/Tk ist jedoch, dass nur relativ wenige brauchbare Erweiterungen
im Internet zu finden sind, und dass das Entwicklungsteam von Tcl/Tk
kaum zur Fehlerbereinigung bereit ist. Der Autor meldete mehrere, zum
Teil relativ schwerwiegende, Fehler an das Team von Tcl/Tk. Sie wurden
zu einem recht grossen Teil einfach ignoriert, oder nur unzureichend bis
gar nicht bearbeitet. Der Autor ist dazu uebergangen, die Fehler selbst
zu bereinigen -- sofern es innerhalb der Skriptsprache moeglich ist --
oder Workarounds (d.h. Umgehungen) zu programmieren. Man kann nur darauf
warten, dass sich auch das Entwicklungsteam von Tcl/Tk mehr Qualitaet
wuenscht. Z. Zt. ist angesichts dieser Lage Tcl/Tk fuer den Einsatz
in kommerziellen Programmen wohl uninteressant.


Nach diesesn grospurigen Ankündigungen findet man dann 2013 irgendwann diesen Kommentar
https://www.mail-archive.com/scid-users@lists.sourceforge.net/msg06020.html

> Not that I know which is correct, but did you mean THE devloper, or
> the principal developer?

Scidb has currently only one developer.

Gregor

:ulol:

Aber immerhin sehen die Screenshots wirklich gut aus
http://scidb.sourceforge.net/screenshots.html

Im Forum von scidb liest man leider auch nicht mehr viel von ihm. Aber immerhin findet man überall im Netz grosspure Featuresets.

Und ich hab schon gedacht, vielleicht nochmal eine interessantes Programm gefunden zu haben. :usad: