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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Spaltung in der orthodoxen Welt nah?


deekey777
2018-09-18, 13:25:44
Ein Land - eine orthodoxe Kirche. Das gilt in der orthodoxen Welt (grundsätzlich).

In der Ukraine ist das nicht der Fall. Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstand die unabhängige (nicht im kirchlichen Sinn) ukrainisch-orthodoxe Kirche, die dem Patriarchen in Moskau unterstand. Anders gesagt: Aus der russisch-orthodoxen Kirche auf dem Gebiet der (ehemaligen) Ukrainischen SSR entstand ein "lokaler Ableger". Der Patriarch in Moskau gab dieser neuen Kirche das Recht der Wahl des eigenen Metropoliten. Einem der Bischöfe der neuen ukrainisch-orthodoxen Kirche ging das wohl nicht weit genug, also kam es zum Streit und Abspaltung. Jetzt gibt es zwei ukrainisch-orthodoxe Kirchen: des Kiewer Patriarchats und des Moskauer Patriarchats. Die erstgenannte wird nicht von allen orthodoxen Kirchen anerkannt und kämpft seit beinahe 30 Jahren für Anerkennung und Autokephalie. Sie wird jedoch nicht als kanonisch angesehen.

Seit der Spaltung (und nicht erst seit dem Ukrainekonflikt) übt "Byzanz", sprich das Oberhaupt der Orthodoxen der Patriarch von Konstantinopel, Druck auf Moskauer Patriarchen aus, dass es zu einer Wiedervereinigung der ukrainisch-orthodoxen Kirchen kommt. Der Patriarch Kyrill ist damit jedoch bisher gescheitert und der Patriarch von Konstantinopel hat das Machtwort gesprochen und nimmt die Angelegenheit in seine Hände. Er hat "seine" Leute nach Kiew geschickt. Auch die Äußerungen aus dem Patriarchat von Konstantinopel gehen in die Richtung, dass es eine autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche geben wird.

Die russisch-orthodoxe Kirche reagierte heftig. Sie beabsichtigt, den Patriarchen von Konstantinopel aus der Lithurgie zu streichen, zumindest von seiner ersten Stelle (sprich als Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche). Elefant im Porzelanladen.

Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel hat selbst einige sehr direkte Äußerungen in Richtung Moskau abgelassen und den Machtanspruch der russisch-orthodoxen Kirche beinahe vernichtet.

Geschichtlich gesehen unterscheidet sich die Entstehung der russisch-orthodoxen Kirche nicht von der UOK KP.

Ende des 10. Jahrhunderts nahm Kiewer Rus das Christentum an und zwar nach dem byzanischen Ritus. Das Oberhaupt war der Patriarch von Konstantinopel, die Metropoliten waren (bis auf wenige Ausnahmen) Griechen und wurden auch von dem Patriarchen bestimmt. Die Kirche der Rus genoß jedoch eine weitgehende Unabhängigkeit. Nach den Goldenen Jahren der Rus verlegte der Metropolit von Kiew und der ganzen Rus Ende des dreizehnten Jahrhunderts seinen Sitz von Kiew nach Wladimir, 1325 offiziell nach Moskau.

Das Konzil von (Basel–)Ferrara–Florenz (mitte des fünfzehnten Jahrhundert) war für die Spaltung der orthodoxen Kirche der Rus entscheidend. Der damalige Metropolit von Kiew und der ganzen Rus befürwortete die Kirchenunion mit Rom. 1448 haben die Bischöfe der nordöstlichen Rus den Bischof von Rjasan ohne Konstantinopels Zustimmung zum Metropoliten von Moskau und der ganzen Rus gewählt. Damit gab es in der orthodoxen Kirche der Rus zwei Metropoliten: von Moskau und der ganzen Rus und von Kiew, Galizien und der ganzen Rus.

Die russisch-orthodoxe Kirche bezeichnet sich seitdem als autokephal. Ende des 16. Jahrhunderts bereiste der Patriarch von Konstantinopel Europa und kam 1589/1590 in das Großfürstentum Moskau, wo er dem Metropoliten von Moskau das Amt des Patriarchen verliehen hat, so entstand das Patriarchat von Moskau (das Peter der Große Anfang des 18. Jhd aufgelöst hat).

Und genau hier hat das Patriarchat von K. in den letzten Tagen nachgelegt: Jeremias II. von Tranos (https://de.wikipedia.org/wiki/Jeremias_II.) hat nur den Metropoliten zum Patriarchen erhoben, jedoch nie die Autokephalie der Kirche von Moskau verliehen, sondern die Erhebung zum Patriarchen unter Bedingung stand, dass der Patriarch von Konstantinopel als Oberhaupt und Erster in der Lithurgie erwähnt wird.

Viele (osteuropäische) orthodoxe Kirchen stehen hinter der russisch-orthodoxen und erkennen nur die ukrainisch-orthodoxe Kirche MP als einzige ukrainische Kirche an. Wird die UOK KP von dem Patriarchen von Konstantinopel anerkannt, kann es zu einer Spaltung in der orthodoxen Welt führen, wobei nicht klar ist, ob die heutigen Gegner sich der Entscheidung fügen.

Leonidas
2018-09-18, 16:48:10
Interessante Einblicke. Leider fehlt mir für manches zur Einordnung das Hintergrundwissen.

deekey777
2018-09-18, 22:26:35
Interessante Einblicke. Leider fehlt mir für manches zur Einordnung das Hintergrundwissen.
Mir auch. Insbesondere habe ich das Gefühl, dass Wikipedia-Artikel im Stundentakt von der einen oder anderen Seite angepasst werden (ist aber nict die einzige Quelle). Nebenbei ist die Erklärung der russisch-orthodoxen Kirche vom 14. September eine recht gute Quelle, denn sie sagen offen, dass die Ernennung des Moskauer Metropoliten ohne Zustimmung des Patriarchen von Konstantinopel erfolgt ist. (Dies war eh ehr politische Entscheidung durch den Großfürsten Wassili II., der die Schwächung Konstantinopels ausnutzte).

Der Metropolit der UOK MP hat bereits angekündigt, dass es zu Protesten kommen wird, wenn die Rada beschließt, dass die UOK MP ihren Namen ändern soll. Auch hat er klar gemacht, dass Moskau ihn nicht miteinbezieht.

Alles andere als lusitg sind Äußerungen aus Russland, dass es im Falle der Autokephalie zu Blutvergießen kommen könnte.

deekey777
2018-09-23, 23:59:57
Der Ökumenische Patriarch lässt es darauf ankommen: http://www.ekathimerini.com/232881/article/ekathimerini/news/patriarch-repeats-stance-on-autocephaly-of-ukrainian-orthodox-church

Etwas oberflächlich: https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-und-ukraine-beben-von-historischem-ausmass-erschuettert-die-orthodoxe-kirche-1.4139474

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Eine Klarstellung:
Die Autokephalie bekommt nicht die UOK KP, sondern eine vereinte ukrainisch-orthodoxe Kirche.

deekey777
2018-10-01, 10:46:20
Wer Griechisch (https://orthodoxia.info/news/%ce%b1%cf%80%ce%bf%ce%ba%ce%bb%ce%b5%ce%b9%cf%83%cf%84%ce%b9%ce%ba%ce%bf-%ce%bf%ce%b9-%ce%b4%ce%b9%ce%ac%ce%bb%ce%bf%ce%b3%ce%bf%ce%b9-%cf%84%cf%89%ce%bd-%cf%80%ce%b1%cf%84%cf%81%ce%b9%ce%b1%cf%81/) oder Russich (https://orthodoxia.info/news/%d1%8d%d0%ba%d1%81%d0%ba%d0%bb%d1%8e%d0%b7%d0%b8%d0%b2-%d0%b4%d0%b8%d0%b0%d0%bb%d0%be%d0%b3-%d0%b2%d0%b0%d1%80%d1%84%d0%be%d0%bb%d0%be%d0%bc%d0%b5%d1%8f-%d0%ba%d0%b8%d1%80%d0%b8%d0%bb%d0%bb%d0%b0/) kann, kann durchlesen, worüber sich die Patriarchen unterhalten haben.

Monger
2018-10-01, 11:44:43
Ich habe mir das jetzt drei mal durchgelesen, und bin immer noch überfordert. Muss man sich das wie die mittelalterlichen Schismen vorstellen? Weil so hört sich das ja vor allem danach an als ginge es um den Herrschaftsanspruch, nicht um Glaubensfragen. Ist also keine Spaltung wie der Protestantismus, oder?

deekey777
2018-10-01, 12:55:27
Ich habe mir das jetzt drei mal durchgelesen, und bin immer noch überfordert. Muss man sich das wie die mittelalterlichen Schismen vorstellen? Weil so hört sich das ja vor allem danach an als ginge es um den Herrschaftsanspruch, nicht um Glaubensfragen. Ist also keine Spaltung wie der Protestantismus, oder?

Es geht um mindestens zwei Punkte.

Der erste Punkt ist: Welche Stellung hat heute der Erste unter den Gleichen der orthodoxen Kirchen? Ist er (und ggf. zusammen mit Vertretern anderer orthodoxer Kirchen) überhaupt berechtigt, eine Entscheidung über Autokephalie zu treffen, wie es die UOK begehrt, die gerade nicht von allen anderen orthodoxen Kirchen anerkannt wird? Muss diese Entscheidung von anderen orthodoxen Kirchen aktzeptiert und respektiert werden?

Die orthodoxen Kirchen haben ja keinen Papst (siee weiter), aber der Patriarch von Konstantinopel ist der gemeinsame Nenner der Orthodoxie. Aber es gibt auch den Zweiten unter den Gleichen, den Papst und Patriarch von Alexandrien und ganz Afrika (https://de.wikipedia.org/wiki/Theodoros_II.). Seine Position ist nicht ganz klar, auch wenn er öffentlich sich ganz klar für die UOK MP auspricht und damit gegen die Autokephalie einer allukrainischen orthodoxen Kirche. Mit ihm reist auch der Metropolit der Polnisch-Orthodoxen Kirche (https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Orthodoxe_Kirche), die zum Patriarchat von Konstaninopel angehört, zuletzt waren sie in Odessa.


Hier ist die Unterhaltung in Englsich: EXCLUSIVE: The dialogue between the Patriarchs of Constantinople and Moscow during their meeting at the Phanar (https://orthodoxia.info/news/exclusive-the-dialogue-between-the-patriarchs-of-constantinople-and-moscow-during-their-meeting-at-the-phanar/)
Die Gefahr ist, dass sich einige orthodoxe Kirchen vom Patriarchat von Konstantinopel lossagen, das wäre quasi eine Spaltung.

deekey777
2018-10-12, 09:44:44
BREAKING NEWS: EP reinstates Ukraine’s Patriarch Filaret, Archbishop Makariy (https://orthodoxia.info/news/breaking-news-ep-reinstates-ukraines-patriarch-filaret-archbishop-makariy/)

Was das bedeutet? Das bedeutet, dass sie in der orthodoxen Welt "wiederhergestellt" sind und von orthodoxen Kirchen als kanonische Bischöfe anzuerkennen sind, so dass sie in jeder orthodoxen Kirche mit einem örtlichen Bischof eine Lithurgie halten können. Auch sind ihre Handlungen wie die Ernennung von Priestern, Bischöfen usw. für die orthodoxe Welt bindend.

Oder anders gesagt: Der Metropolit Onufrij (UOK MP) und der Patriarch Filaret (UOK KP) können am Sonntag gemeinsam in dem Kiewer Höhlenkloster (https://de.wikipedia.org/wiki/Kiewer_H%C3%B6hlenkloster) eine Lithurgie abhalten.

Nebenbei: Die Agenda des ÖP, https://www.patriarchate.org/-/communiq-1?_101_INSTANCE_MF6geT6kmaDE_languageId=en_US

Announcement (11/10/2018).

Presided by His All-Holiness, the Ecumenical Patriarch, the Holy and Sacred Synod convened for its regular session from October 9 to 11, 2018, in order to examine and discuss items on its agenda.

The Holy Synod discussed in particular and at length the ecclesiastical matter of Ukraine, in the presence of His Excellency Archbishop Daniel of Pamphilon and His Grace Bishop Hilarion of Edmonton, Patriarchal Exarchs to Ukraine, and following extensive deliberations decreed:

1) To renew the decision already made that the Ecumenical Patriarchate proceed to the granting of Autocephaly to the Church of Ukraine.

2) To reestablish, at this moment, the Stavropegion of the Ecumenical Patriarch in Kyiv, one of its many Stavropegia in Ukraine that existed there always.

3) To accept and review the petitions of appeal of Filaret Denisenko, Makariy Maletych and their followers, who found themselves in schism not for dogmatic reasons, in accordance with the canonical prerogatives of the Patriarch of Constantinople to receive such petitions by hierarchs and other clergy from all of the Autocephalous Churches. Thus, the above-mentioned have been canonically reinstated to their hierarchical or priestly rank, and their faithful have been restored to communion with the Church.

4) To revoke the legal binding of the Synodal Letter of the year 1686, issued for the circumstances of that time, which granted the right through oikonomia to the Patriarch of Moscow to ordain the Metropolitan of Kyiv, elected by the Clergy-Laity Assembly of his eparchy, who would commemorate the Ecumenical Patriarch as the First hierarch at any celebration, proclaiming and affirming his canonical dependence to the Mother Church of Constantinople.

5) To appeal to all sides involved that they avoid appropriation of Churches, Monasteries and other properties, as well as every other act of violence and retaliation, so that the peace and love of Christ may prevail.

At the Ecumenical Patriarchate, the 11th of October, 2018

Offizieles gibt es zu den Punkten nicht, aber man kann davon ausgehen, dass die Entscheidungen bereits getroffen worden sind. Und gerade Punkt 4 ist Pulverfaß.

nonharderware
2018-10-13, 07:25:02
Ich nehme an dies hat auch mit dem besagten Thema zu tun:

https://orf.at/stories/3060861/

deekey777
2018-10-15, 09:27:17
Ich nehme an dies hat auch mit dem besagten Thema zu tun:

https://orf.at/stories/3060861/

Hat es. Ist die übliche Rhetorik aus Kreml, der sich leider die ROK angeschlossen hat.

Monger
2018-10-15, 13:45:09
Hat also aber wohl auch ne politische Dimension, weil die Kirchenspaltung wäre ohne die Krim Krise wahrscheinlich nicht so weit gediehen, oder?

deekey777
2018-10-15, 14:53:29
Hat also aber wohl auch ne politische Dimension, weil die Kirchenspaltung wäre ohne die Krim Krise wahrscheinlich nicht so weit gediehen, oder?

Schwer zu sagen.

Der Konflikt ist nicht von heute, sondern die Frage über die Autokephalie einer geeinten UOK gibt es schon seit Anfang der 90er.

Auf der anderen Seite hat das eine politische Brisanz für die Ukraine selbst und auch für die Russische Föderation. Die ukrainische Politik stilisiert das zum Kampf gegen die Aggression und den Kreml, der Kreml wiederum heult nur rum, es sei alles von den USA gesteuert, die den ÖP von Konstantinopel gekauft hat. Hinzu kommt ein weiteres Element, dass der Kreml bzw. die ROK für die Russen in der Ukraine kämpft.

Der Konflikt ab 2014 macht das ganze brisanter, ist aber für den Streit an sich nicht relevant.


Die Kirchenspaltung, wie ich sie gemeint habe, ist nicht in der Ukraine, sondern es geht darum, ob dieses gemeinsame Merkmal des Ökumenischen Patriarch von Konstantinopel von allen orthodoxen Kirchen (gemeint sind byzantinische Kirchen) weiterhin als ihr Oberhaupt anerkannt wird oder nicht. Es ist schon ein Machtspiel zwischen den Griechen und den Russen, wobei die ROK eher in Minderheit ist und gar in Isolation. Die paar Verbündete wie der Patriarch von Alexandria oder Antiochien, der Metropolit von Polen äußern sich zwar zugunsten der Russischen Orthodoxen Kirche, aber sie werden am Ende auf der griechischen Seite bleiben.

Ein kleines Beispiel:
Die ROK erkennt 15 autokephale orthodoxe Kirchen, während der ÖP und die anderen Patriarchen nur 14 anerkennen. Die fünfzehnte ist die OK in Amerika (https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxe_Kirche_in_Amerika). Sie hat von der ROK die Autokephalie erhalten, wird aber vom ÖP von Konstantinopel und damit von anderen nicht anerkannt. Sprich: Nur wenn der ÖP den "Tomus über die Autokephalie" ausgibt, wird diese von anderen orthodoxen Kirchen anerkannt.

deekey777
2018-11-06, 09:24:23
Der aktuelle Stand ist:
Die direkt oder indirekt von der ROK abhängigen Orthodoxen Kirchen (Weißrussische Orthodoxe Kirche, Moldawische Orthodoxe Kirche, die ROK im Ausland, die Orthodoxe Kirche in Nordamerika = ROK) unterstützen die ROK.

Die Serbische Orthodoxe Kirche versucht den Mittelweg und will die Heilige Synnode, also Versammlung aller Oberhäupte, die dann gemeinsam das derzeitige Problem klären.

Die wohl wichtigste Unterstützung kommt vom Patriarchen von Jerusalem, https://orthodoxia.info/news/constantinople-jerusalem-strengthen-ties-in-response-to-moscow-decision/ Dabei ist das Patriarchat von Jerusalem von Russland an sich finanziell abhängig (nicht nur von ganz Russland nach Jerusalem organisierten Pilgerreisen, sondern direkten Spenden). Das Wunder des Heiligen Feuers wird seit Jahren im "privaten" russischen Fernsehen übertragen, womit der Schulterschluss des Patriarchen von Jerusalem mit dem ÖP problematisch für die russischen Gläubigen werden kann.

deekey777
2019-11-02, 18:05:29
Die ROK wird morgen die eucharistischen Beziehungen zur griechisch-orthodoxen Kirche abbrechen, nachdem sie die neue ukrainische Kirche anerkannt haben.

Opprobrium
2019-11-02, 18:17:20
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