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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Andreji


Kingpin
2003-09-15, 20:02:49
Andreji war ein kleiner Mann, von der Last seiner 65 Jahre schon sichtbar gebeugt. Und er war ein fleissiger Mann, obwohl es bestimmt Menschen gab, die ihm dies als gebürtigem Polen absprachen.
Vor 10 Jahren traf ich ihn bei meiner Schwiegermutter, als er mit seiner Frau und seinem Sohn als Erntehelfer bei der Weinlese mithalf.Was wir gesprochen haben? Vergessen, wahrscheinlich belangloses Zeug. Aber an sein freundliches Lachen erinnere ich mich noch heute. In ärmlichen Verhältnissen groß geworden, ohne große Schulbildung gelang es ihm doch, seinen 2 Söhnen eine Ausbildung zu gewährleisten, die diesen eine gute Anstellung im Ausland ermöglichte. Dankbar, wenn man ihm half, hilfsbereit wenn man ihn brauchte - und nie ohne sein freundliches Lachen im Gesicht.
Und nach dem anstrengenden Lesetag, nach Bad oder Dusche ging Andreji in seinem besten Anzug zur Kirche um seinem Herrn zu danken.
Gab es einen Menschen in meinem Leben, der mir wegen seiner Höflichkeit auffiel, dann war es dieser kleine Mann aus einem kleinen Landstädtchen aus Polen. Nie blieb er sitzen, wenn sich jemand zu ihm begab. Den anderen stehend zu begrüßen und ihm die Hand zu reichen war für ihn selbstverständlich. Und jeder, der sich mit ihm abgab erhielt ein freundliches Lächeln zum Abschied. Und den Frauen des Hauses wurde stets ein Handkuss zur täglichen Begrüßung gegeben. Und so strahlte dieser Mann eine Würde aus, die ihn beliebt machte.
Und wenn er mit meinem Schwiegervater zu einem Glas Wein zusammensaß, so waren 2 zufriedene Männer im Gespräch zu sehen. Selbstverständlich war Andreji der Weg im Winter zu uns ins ferne Deutschland nicht zu weit, als sein " Helllmut " so plötzlich am Heiligabend 2000 verstarb. Diesmal dauerte sein Gebet in der kleinen Dorfkirche etwas länger.
Und so kam Andreji auch dieses Jahr zu uns, bereit, sich und seine Freund bei der Weinlese einzusetzen. Und selbstverständlich hatte er ein großes Paket Schokokekse dabei, die meine Kinder so gerne essen.
Nur, gestern war er etwas aufgeregter als sonst. Er wollte unbedingt zur Kirche, wie aus einem inneren Drang heraus, so zumindest sagte er es seinen polnischen Freunden und meiner Schwiegermutter. Danach war er zufrieden wie immer und mit einem Lächeln verabschiedete er sich von seinen Gastgebern um in seinem Zimmer - wie immer - zu schlafen.
Vielleicht war es seine Höflichkeit, die ihn veranlasste seine brennenden Brustschmerzen zu ignorieren, denn meine Schwiegermutter nächtens zu wecken, das käme ihm wohl nie in den Sinn.Trotzdem suchte der früh morgens Hilfe und er schleppte sich ins Wohnzimmer, wo er - unter dem Kreuz, dass er meinem Schwiegervater vor langen Jahren geschenkt hatte - in dessen Sessel auf den Tag wartete. Dort fand ihn meine Schwiegermutter und rief den Notarzt. 3 Stunden später rief ihn der Herr, an den er stets so fest geglaubt hatte ,zu sich.
Und ich werde sein Lächeln vermissen - wir alle werden diesen unscheinbaren kleinen Mann vermissen, der uns lange Zeit ein verlässlicher und guter Freund geworden war.

Kingpin

Sergej
2003-09-15, 20:08:40
Traurige Geschichte, ging mir fast ein bischen Nahe :-(

Amarok
2003-09-15, 22:04:34
Wenn ein Leben geht, das wir kennen und schätzen; ein Leben, das ein Teil des eigenen Lebens bedeutet hat (und sei es noch so klein) denkt man vermehrt über sich selbst und seine Lieben nach. Zumindest mir geht es immer so und ich denke, dass es Kingpin genauso geht.



Es ist die Zeit gekommen den Kerner zu öffnen...(da dort drinnen vielleicht ein Teil von Andreji steckt.....)


Carpe Diem

helgeman
2003-09-15, 23:08:42
Carpe Diem!

@ Kingpin

So wie du den Mann beschreibst, scheint er ein erfülltes Leben geführt zu haben. Sein tiefer Glaube hat ihm Kraft gegeben und ich glaube das er zu einem Teil in dir weiterleben wird.
Darum tue das was er auch getan hätte, schaue nicht zurück, sonder nach vorn. Das Leben geht weiter, auch für ihn.
Mach das Beste aus deinem Leben und nutze den Tag.

Carpe Diem!

Kingpin
2003-09-16, 21:08:52
Hi all

@Amarok:

mit dem Kerner und Andreji - da könntest Du richtig liegen.
Liebe Grüße nach Felix Austria.

@ helgeman:

THX; natürlich geht das Leben weiter. Es kam alles nur so überraschend. 1 Tag zuvor haben wir uns noch die Hand gegeben und uns zum Weinlesen am Freitag verabredet.

Natürlich bin ich traurig, auch im Sinne von mitfühlend, denn ich habe auch seine schwer kranke Frau Barbara gekannt, die so sehr auf ihn angewiesen war und erstmals nicht mit zur Lese kommen konnte.
Wer schon einmal einen Todesfall im engeren Freundes - oder Bekanntenkreis erlebt hat kann am ehesten mitfühlen, wie überraschend, ja schockierend eine solche Todesmitteilung ist. Aber das Leben geht weiter.

Sergej hat das richtig erkannt - eine traurige Geschichte.

Gruß
Kingpin

helgeman
2003-09-17, 00:04:49
Original geschrieben von Kingpin
Sergej hat das richtig erkannt - eine traurige Geschichte.

Gruß
Kingpin

Joo, dem stimme ich auch zu.
Ich habe auch schon mir lieb gewonnene Menschen unerwartet verloren. Ich finde aber dann immer sehr wichtig, wie die Personen ihr Leben GELEBT haben, falls du verstehst was ich meine.
Ich weiss nicht, wie du zum Tod stehst. Ist er für dich endgültig, oder glaubst du an ein irgendwas danach?
Ich glaube nicht an den Tod als solchen und darum habe ich mit der Zeit einen völlig neuen Umgang mit dem Tod, bzw, dem Sterben von Bekannten oder Verwandten angenommen.

Klar vermisse ich Leute, die sterben und mir nahe waren, aber ich finde Trost in meiner Überzeugung, das der Tod nur ein Übergang ist.
Ja, jetzt höre ich schon wieder die Leute die sagen, der ist zu faul, um sich über den Tod vernünftig Gedanken zu machen und dann einfach sagt er glaube an Gott usw.!
Aber das sehe ich nicht so, das Leben geht weiter und die Trauer geht auch, beim einen früher, beim anderen später, ganz von alleine. Was bleibt, ist ein leerer Platz in unserem Herzen, der dann gelegentlich ziemlich schmerzen kann.
Darum ist es auch wichtig zu wissen, wie Einer der gestorben ist, sein Leben gelebt hat.
War es ein (subjektiv gesehen) guter Mensch, hatte er ein ausgefülltes Leben? Solche Kriterien sind zum Beispiel für mich wichtig, um (auch zu mir selbst) zu sagen, dieses Leben hat er/sie nicht umsonst gelebt. Das ist der imo wichtigste Trost, den man in Momenten der Trauer haben kann und auch haben muss.

Das Leben geht weiter.....
MfG
Helgeman